Dieses Interview ist Teil einer 7-teiligen Zusammenarbeit von cloud ahead und dem KI-Park e.V. zum Thema 'Souveräne KI-Infrastruktur'.
Dr. Henry Goecke ist Geschäftsführer bei IW Consult und Senior Economist am Institut der deutschen Wirtschaft, mit Schwerpunkt auf Digitalisierung, Regionalökonomie und Wirtschaftspolitik.
Dr. Béla Waldhauser ist Sprecher der Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen im Eco-Verband der Internetwirtschaft e. V. und CEO der Telehouse Deutschland GmbH, mit langjähriger Erfahrung im Bau und Betrieb von Rechenzentren.
Die IW Consult hat im Auftrag des Eco-Verbands eine umfassende Studie zur Relevanz von KI-Rechenzentren für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands durchgeführt. Das Ergebnis: Rechenzentren sind das Rückgrat der digitale Transformation Deutschlands. Der Einsatz von KI erzeugt ein zusätzliches Wertschöpfungspotenzial von 410 Milliarden Euro. Unternehmen, die Rechenzentren nutzen, sind innovativer und erfolgreicher. Deutschland insgesamt könnte die jährliche Steigerungsrate der Arbeitsproduktivität von 0,8% auf 1,3% erhöhen.
Rechenzentren und der Einsatz von KI spielen somit eine Schlüsselrolle für Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und das Wirtschaftswachstum insgesamt.
Gregor: Henry, in eurer Studie für den Eco-Verband stellt ihr einen Zusammenhang her zwischen Investitionen in KI-Infrastruktur und Wirtschaftswachstum in Deutschland. Wie kommt ihr drauf?
Henry: In unserer Befragung von 500 Unternehmen konnten wir den positiven Zusammenhang zwischen digitaler Infrastruktur, KI-Nutzung und wirtschaftlichem Erfolg in der Tat bestätigen.
Unsere Schlüsselergebnisse sind: Zwei Drittel der Unternehmen setzen generative KI gezielt zur Effizienzsteigerung ein, über 80% der KI-Nutzer verzeichnen Produktivitätssteigerungen und 42% der befragten Unternehmen geben an, generative KI zur Steigerung der Innovationskraft einzusetzen und damit neue Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln.
Besonders interessant ist, dass Unternehmen, die generative KI nutzen, einen höheren Umsatzanteil mit neuen Produkten erzielen - bei KI-Nutzern liegt dieser bei einem Drittel, bei Nicht-Nutzern nur bei einem Viertel. Noch deutlicher wird der Unterschied bei Rechenzentrumsnutzern: Sie steigerten ihren Umsatzanteil mit neuen Produkten zwischen 2021 und 2023 um 30%, während dieser Anstieg bei Nicht-Nutzern lediglich 2% betrug.
Ein leistungsfähiges digitales Ökosystem ist also essenziell für wirtschaftlichen Fortschritt und bildet die Grundlage für Produktivität, Innovation und materielle Lebensqualität. Die Digitalisierung erweist sich als zentraler Treiber für Wertschöpfung und Umsatzwachstum, indem sie Innovation, Produktivität und Effizienz fördert.
„Unternehmen, die generative KI nutzen, erzielen einen höheren Umsatzanteil mit neuen Produkten.“
Gregor: Klingt intuitiv nachvollziehbar. Aber ihr könntet auch einfach nur eine Korrelation entdeckt haben. Unternehmen, die innovativ sind, probieren halt gerne auch mal was mit KI …
Henry: Du hast Recht, es gibt die methodische Herausforderung, zwischen Korrelation und Kausalität zu unterscheiden. Unsere Studie aber basiert auf einer breiten und vielseitigen Befragung und zeigt konsistent: bei allen spezifischen Fragestellungen zeigen sich positive Zusammenhänge zwischen digitaler Infrastruktur, KI-Nutzung und Innovationskraft.
Gregor: Aber muss diese KI-Infrastruktur dann wirklich in Deutschland stehen? Reichen nicht auch Rechenzentren in Ländern mit günstigen Stromkosten?
Bela: Die Frage ist berechtigt, aber die Realität zeigt, dass Rechenzentren in Deutschland nicht nur für Katzenvideos auf Instagram notwendig sind. Die Digitalisierung hat seit der Einführung des iPhones 2007 enorm an Fahrt aufgenommen und ist längst nicht mehr nur eine Angelegenheit von Militär oder Großunternehmen. Heute entstehen Innovationen verstärkt im privaten Sektor, und digitale Unternehmen erzielen tatsächlich hohe Gewinne. Daher entfällt über 50% der Nutzung auf Unternehmensanwendungen.
Rechenzentren ermöglichen papierlose Büros, elektronische Rechnungen und den digitalen Wandel in Unternehmen und Behörden. Ich würde sogar behaupten: Wir sind das Rückgrat des digitalen Fortschritts.
Die Nähe zu diesen Rechenzentren ist entscheidend für die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Es geht nicht nur um günstige Stromkosten, sondern um die Schaffung eines robusten digitalen Ökosystems vor Ort. Dies fördert nicht nur die Entwicklung neuer Technologien, sondern sichert auch Arbeitsplätze und trägt zur wirtschaftlichen Stärke Deutschlands bei.
„Rechenzentren in Deutschland sind nicht nur für Katzenvideos notwendig. Sie sind das Rückgrat des digitalen Fortschritts.“
Gregor: Wir haben also kein Stromproblem bei Rechenzentren?
Bela: Der Stromverbrauch von Rechenzentren beträgt nur 3 % des deutschen Stromverbrauchs. Das entspricht lediglich 0,6 % des gesamten Energieverbrauchs. Auf der anderen Seite tragen wir mit der Intelligenz, die wir zur Verfügung stellen, zu erheblichen Effizienzgewinnen an anderer Stelle bei. Das hilft, die gesamtgesellschaftliche Energie- und Ressourcennutzung langfristig zu optimieren. Ein einseitiger Blick auf einen einzelnen Input-Faktor macht zudem volkswirtschaftlich keinen Sinn. Beispielsweise wird bis 2028 die Zahl der Arbeitskräfte in Deutschland um mindestens 1,1 Millionen sinken. Ohne KI, die natürlich Strom verbraucht, werden wir weder den Fachkräftemangel noch die weiterhin steigende Arbeitslast in den Unternehmen bewältigen.
Gregor: Aber ich muss da nochmal nachhaken. Big Tech investierte letztes Jahr 220 Milliarden in Cloud- und KI-Infrastruktur. Davon entfallen etwa 15 Mrd. € auf Deutschland. Reicht uns das nicht?
Henry: Die Investitionen von Big Tech sind wichtig, aber nicht ausreichend. Bei der Standortwahl geht es nicht nur um Latenz, also um die Frage wie schnell die Daten vom Rechenzentrum zu den NutzerInnen gelangen. Eine zunehmende Rollen spielen geopolitischen Faktoren. Die Welt ist in einer Phase der De-Globalisierung, Daten- und Infrastruktur-Souveränität gewinnen an Bedeutung. Europa und Deutschland müssen entsprechend ihre digitale Infrastruktur und technologische Unabhängigkeit stärken, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir dürfen uns nicht allein auf ausländische Investitionen verlassen, sondern müssen aktiv in unsere digitale Zukunft investieren.
„Wir brauchen einen Bewusstseinswandel in Politik und Gesellschaft.“
Gregor: Seit der ersten Trump-Regierung ist diese Erkenntnis ja praktisch Common Sense. Wieso engagiert sich die Politik denn so wenig für einen beschleunigten Ausbau der Rechenzentren?
Bela: Das Problem liegt in der Wahrnehmung und Bewertung des digitalen Wachstums durch die Politik. Ich höre häufig ‚Ihr wachst doch schon 10% pro Jahr, was beschwerst du Dich?“ Politiker übersehen dabei, dass die New Economy viel schneller voranschreitet als die traditionelle Wirtschaft. Unser Referenzwert sind nicht klassische Wachstumsraten von Chemieindustrie oder Maschinenbau. Wenn es um digitale Wettbewerbsfähigkeit geht, setzt das globale Big Tech den Standard. Hier sehen wir dann: Europa verliert kontinuierlich Marktanteile. Politik und Kämmerer fokussieren sich da zu sehr auf absolute Wachstumszahlen, ohne den relativen Bedeutungsverlust im internationalen Vergleich zu berücksichtigen.
Was wir brauchen, ist ein Bewusstseinswandel in Politik und Gesellschaft: ein scheinbar gutes Wachstum der europäischen Digitalbranche reicht nicht, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Studie des Eco-Verbands nun zeigt eindeutig: ein umfassendes Investitionsprogramm mit Fokus auf Digitalisierung und wettbewerbsfähige KI-Infrastruktur wäre der Startpunkt für unsere Aufholjagd.
Gregor: Umdenken? Wie man bei der Zeitenwende der Militärs sieht, tun sich damit viele Menschen lange Zeit schwer. Wenn es passiert, dann geht es aber sehr schnell. Was würdest du Dir denn konkret wünschen?
Henry: Investitionen in Rechenzentren schaffen Arbeitsplätze rund um Stromversorgung, Klimatechnik, IT-Hardware und Software. Der eigentliche volkswirtschaftliche Effekt aber entsteht durch die Digitalisierung in den nachgelagerten Branchen. So hat sich etwa die Anzahl der an Cloud-Dienste gebundenen Arbeitsplätze seit 2022 verdoppelt, was einem monatlichen Zuwachs von 126.000 Jobs entspricht. Die Wertschöpfung daraus liegt bei rund 250 Mrd. Euro pro Jahr.
Wir schlagen daher vor, über eine steuerliche Sonderabschreibung für Digital-Investitionen die Digitalisierung unserer Wirtschaft zu beschleunigen.
„Inzwischen gilt: Alle müssen digitalisieren - selbst Dönerbuden vertreiben inzwischen online.“
Bela: Das würde besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMU) dazu motivieren, stärker in digitale Technologien zu investieren. Früher habe ich immer gesagt: ‚Bis auf die Dönerbude müssen alle Unternehmen digitalisieren.‘ Dann aber wurde ich belehrt, dass selbst dort digitale Vertriebsmodelle wie Uber Eats angekommen sind. Jetzt sage ich: ‚Selbst die Dönerbude muss digitalisieren.‘ Mit einer gesamtgesellschaftlichen Digitalisierungsanstrengung wird dann ein Schuh draus: alle Unternehmen gewinnen an Effizienz, digitalisieren ihre Geschäftsmodelle und wachsen über neue Vertriebskanäle. Wir als Gesellschaft können den Rückgang der arbeitenden Bevölkerung kompensieren und trotzdem wachsen.
Aber der Schlüssel ist: Digitalisierung, Digitalisierung, Digitalisierung. Diese steigende Nachfrage würde dann auch Investitionen in lokale KI-Infrastruktur incentivieren und uns schrittweise mehr europäische Souveränität sichern.
Gregor: Bela und Henry, vielen Dank für eure Zeit!