… dann würde ich mich für „Cloud Strategie“ von Gregor Hohpe entscheiden.
Wer ist dieser Hohpe? Er ist einer jener wenigen Europäer, die es auf der Spielwiese der Informations-Technologie zu globalem Ruhm geschafft haben. Der Holländer Werner Vogels prägt als technischer Master-Mind hinter AWS die Cloud-Infrastruktur der Erde, der deutsche Thomas Dohmke baut mit einer raffinierten Strategie Github zur zentralen, globalen Entwicklungs-Plattform aus. Gregor Hohpe aber ist es, der jedem Unternehmen dabei hilft, die Chancen, die beide Plattformen mitbringen, in echte Wettbewerbsvorteile zu verwandeln.
Wie gelingt ihm das? Mit schier unermüdlicher Produktivität als Buch-Autor: Enterprise Integration Patterns, 37 Things One Architect Knows About IT Transformation, The Software Architect Elevator, Platform Strategy und Cloud Strategy sind die wichtigsten. Letzteres ist nun nicht nur auf Japanisch erhältlich (クラウドストラテジ) sondern auch auf Deutsch.
Ein Buch für Führungskräfte, die mitspielen wollen
Gregor schreibt für zwei Zielgruppen. Zum einen für IngenieurInnen unten im Maschinenraum der IT und zum anderen für deren KapitänInnen oben auf der Brücke. Software-ArchitektInnen, so sein Arbeitsethos, müssen beide Etagen verbinden. Dafür pendeln sie ständig zwischen den Welten, wechseln zwischen beiden Sprachen: In der einen geht es um Nodes, Pods, Proxies und Rollbacks, über den Status in der Peer Group entscheidet der Github Contribution Graph. In der anderen schwirren Buzzwords durch Telefonkonferenzen, im Subtext aber geht es um EBIT und Umsatz, Prozesse und Organization, Zuständigkeiten und Macht. „Cloud Strategie“ richtet sich mehr an letztere Zielgruppe, denn das Thema ist Unternehmens-Strategie im Zeitalter der Cloud. Welche Entscheidungen muss die Chefetage treffen, damit sich der Maschinenraum, und alles was mit diesem verbunden ist, modernisiert?
Das Buch ist einfach lesbar, hat viele kurze Überschriften, einleuchtende Grafiken, verständliche Metaphern und unterhaltsame Cartoons. Es beinhaltet alle strategischen Themen der Cloud Transformation, muss nicht von Anfang bis Ende gelesen werden, jedes Kapitel für sich hilft weiter. Auf etwa 350 Seiten wandert Hohpe einmal durch alle Aspekte einer erfolgreichen Transformation: Die Cloud im Kontext, die Cloud-Organisation, der Weg in die Cloud, Cloud-Architektur, Cloud-Anwendungen und die Cloud budgetieren.
‚Gregor’s Law‘ ist extra für ManagerInnen
Der Zusatztitel „Ein entscheidungsbasierter Ansatz für erfolgreiche Cloud-Migration“ offenbart die besondere Stärke des Buches: Es gibt tech-interessierten ManagerInnen Entscheidungsmodelle an die Hand für jene typischen Dilemmata, die ihnen ihre IT-Organisationen im Alltag bereiten. Denn dort wimmelt es von Fraktionen, Meinungen und Weltanschauungen. Fans von Open-Source vs. Anhänger von proprietären Anbietern. AWS gegen Microsoft gegen Google. Selbst machen vs. Outsourcen. Software vs. Infrastruktur. OnPrem vs. Cloud. Die unangenehme Konsequenz? Irgendwann landen diese Fragen bei einer Führungskraft, die wirklich keine Ahnung mehr hat von der Sache. Diese aber, da sind sich die zerstrittenen Techies dann wieder einig, müsse doch fähig sein, eine solch triviale Entscheidung doch schnell zu treffen.
Die Folge ist unternehmerische Paralyse, gefolgt von endlos steigender Komplexität. Gregor, gewaschen mit allen Wassern von Deloitte, Allianz, Thoughtworks, Google, AWS und dem Staate Singapur, hat daraus dann folgendes Gesetz gemacht:
„Excessive complexity is nature’s punishment for organizations
that are unable to make decisions.“Übermäßige Komplexität ist die Strafe der Natur für Organisationen, die nicht in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen.
What’s in it for the DigitalministerIn?
Wer sich ein bisschen beschäftigt hat mit der hiesigen Verwaltungsdigitalisierung, der kann erahnen, warum ich genau dieses Buch zur Pflichtlektüre deutscher Digitalisierungsverantwortlicher machen würde. Für den oder die nächste DigitalministerIn habe ich nun meine Lieblings-Ratschläge aus dem Buch herausgesucht:
1) Cloud ist eine Veränderung des IT-Lebens-Stils
Direkt auf Seite 1 heißt es: „Organisationen sollten vermeiden, eine Cloud-Transformation wie ein reguläres IT-Projekt anzugehen. Stattdessen sollten sie sich auf eine fundamentale Anpassung ihres IT-Lebensstils vorbereiten.“ Der Satz ist eine Mischung aus Drohung und Warnung, denn an liebgewonnenen Gewohnheiten scheitern so viele gute Vorsätze.
2) Es geht um Economies of Speed
Auf Seite 19 dann ein weiterer Schlüsselsatz: „Digitale Unternehmen haben nicht den Luxus eines klar definierten Zielbildes. Stattdessen leben sie in einer Welt ständiger Veränderung.“ Wer unseren Staat hat digital dilettieren sehen in den Stapelkrisen der letzten Jahre, der weiß: auch die deutsche Verwaltung wurde zum Opfer der ‚Economy of Speed‘.
3) Cloud krempelt die Organisation um
Auf Seite 67 dann die nächste Warnung: „Teams, die zuvor als Schichten strukturiert waren, verwandeln sich in vertikale Scheiben, die Funktionsbereiche oder Dienste repräsentieren.“ Auf diese Weise erhalten Organisationen Fokus auf ihren Kunden. Wer die Beharrungskräfte interner Behördenhierarchien erfahren durfte, der weiß: Diese Reorganisationen werden eine Qual für jedes Amt.
4) Die Cloud-Migration nicht der Infrastruktur überlassen
Auf Seite 116 dann postuliert Hohpe: „Die Cloud-Reise von der Infrastruktur aus anzugehen, könnte Ihr erster großer Fehler sein.“ Denn in der Cloud geht es um Anwendungen, Prozesse und deren Nutzen für KundInnen und BürgerInnen. Das meiste dahinter wird eine erfolgreiche Cloud-Migration ohnehin disruptieren. Da sollten Sie nicht den Frosch zum Landschaftsgärtner machen.
5) Cloud ist Outsourcing
Auf Seite 57 dann heißt es: „Cloud ist nicht einfach nur Outsourcing, sie könnte eher als Mutter allen Outsourcings durchgehen." Was meint Hohpe damit? Das Outsourcing über die Cloud erfolgt im Wesentlichen über Programmierschnittstellen (APIs). Praktisch alle einzelnen Services, einschließlich der Monitoring- und Kontrollfunktionen, lassen sich ebenfalls über APIs ansteuern. Dies erlaubt einen Grad an Kontrolle, Transparenz, Kurzfristigkeit, Weiterentwicklung und Wirtschaftlichkeit, die in der Non-Cloud ihres gleichen sucht.
6) Outsourcen Sie nicht das Denken
Weil die Cloud aber ihren NutzerInnen genau dieses unvergleichliche Maß an Einfluss auf die outgesourcte Leistung gibt, müssen Unternehmen (und Behörden) in der Cloud die Führung übernehmen. Sie dürfen eben nicht die wichtigen Architektur-Entscheidungen ihren Lieferanten überlassen. Details dazu lesen wir ab Seite 58.
7) Sie haben bereits die Leute
Gute Nachrichten, wie etwa diese auf Seite 80, hat Hohpe auch: „Wenn Sie nach Talenten suchen, könnte ihr erster großer Fehler darin bestehen, nur außerhalb der Organisation zu suchen.“ Denn gerade in technologisch rückständigen Groß-Organisationen gibt es auf den unteren Ebenen häufig sehr fähige und aufgeschlossene Mitarbeitende. Nur werden die von den bestehenden Hierarchien entweder ignoriert (‚Der ist ein Revoluzzer!“) oder ChefInnen haben die Sorge, ihre High-Performer zu verlieren.
8) Bitte keine Enterprise Non-Cloud
Auf dem halben Weg der Cloud-Transformation dann passiert häufig folgendes: Die Organisation hat für viel Geld eine hoch-performante Private-Cloud eingekauft, ‚beschützt‘ diese aber mit ihren alten Prozessen. Bestell-, Liefer- und Abrechnungsprozesse bleiben dann so kompliziert wie eh und je, der eigentliche Vorteil der Cloud ist dahin. Ab Seite 134 beschreibt Hohpe diesen Effekt ausführlich mit Hilfe der Cloud-Definition der NIST.
9) Don’t get locked up into avoiding lock-in
Mit Hilfe dieses nicht elegant übersetzbaren Satzes auf Seite 221 spielt Hohpe auf eine der großen Debatten auf LinkedIn an: Sind alle Cloud-NutzerInnen die armen Opfer böswilliger Lock-In-Strategien der Hyperscaler? Oder haben sie nur das Denken outgesourct? Wer es nicht abwarten kann, darf schon einmal seinen Blog-Eintrag aus 2019 lesen.
10) Neue Technologie bringt neue Finanzmodelle.
Ab Seite 319 dann geht es um „Cloud Budgetieren“. Ein extrem wichtiges Kapitel, denn in den meisten Organisationen führen alle größeren Projekte, einschließlich jene der Veränderung des IT-Lebensstils, über den CFO. Die Cloud stellt die Organisation auf den Kopf, und bevor sie das darf, müssen die FinanzwirtInnen bereit sein, den ein oder anderen Rechenstil anzupassen. Es gibt keine klaren Ziele mehr, für die auch keine Wasserfall-Kalkulationen gemacht werden. Die Preise der Hyperscaler sind vergleichbar, Preisvergleiche von Komponenten aber machen kaum Sinn. Optimierung erfolgt nicht durch Kontrolle, sondern über Transparenz. Bei einer erfolgreichen Transformation steigen Betriebs-Budgets, IT- und Gesamtkosten, trotzdem aber werden Unternehmen wettbewerbsfähiger. Starker Tobak für FinanzwirtInnen, die keine Tech-Bücher lesen.
Ich könnte mich noch ewig erfreuen an den Zeilen meines Namensvetters. Aber für diese Freude lesen Sie besser das Original. Viel Spass dabei!