Was wäre, wenn uns die USA keine Updates mehr lieferten? 

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09.12.2023
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8 min Lesedauer
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Unternehmen und Staaten in Europa sind massiv abhängig von in den USA hergestellten Softwares und in Asien hergestellten Hardware-Komponenten. Nach den Krisen der vergangenen Jahre fördert der Staat den Aufbau europäischer Chip-Produktion. Aber wie sieht es aus mit der Software-Souveränität Europas?

Den digitalen Aus-Knopf Europas könnten die USA jederzeit drücken. Wie das aussähe? Die Vereinigten Staaten haben es mit anderen Ländern mehrmals vorgemacht. 2019 sperrte Adobe seine Cloud für Venezuela, Google entzog im gleichen Jahr Huawei Lizenzen sowie Updates und Github löschte 2022 russische Projekte auf seiner Plattform.

Wie aber sähe es aus, wenn die USA vergleichbares mit Europa praktizierten? Würden wir uns auf gleiche Weise digital emanzipieren, wie es uns bei der Entkopplung vom russischen Gas gelungen ist?

Wir möchten mit unserem Interviewpartner ein solches Szenario durchspielen.

cloudahead Fabian Peter Cloudahead2

Zur Person

Fabian Peter ist Gründer aus Überzeugung. Er widmet sich dem technologischen Fortschritt in Deutschland und Europa in den Bereichen Cloud, IT-Infrastruktur, Container, Software- und Plattform-Architektur. Der Schwerpunkt seiner beiden Firmen ayedo und avemio liegt auf integrativen Leistungen in der Entwicklung und dem Betrieb von Software.

Gregor: Fabian, was würde eigentlich passieren, wenn uns die USA keine Updates mehr für ihre Closed-Source-Softwares schicken würden – sei es für VMware oder AWS? 

Fabian: Die Wirkung wäre natürlich desaströs. Gefühlt basiert mehr als 80% unserer Unternehmens-IT auf US-amerikanischer Closed-Source-Software. Betroffen hiervon wären sowohl Public Clouds, Private Clouds als auch klassische Rechenzentren der Vor-Cloud-Ära.

Wenn wirklich „nur“ die Updates abgestellt würden, dann hätten wir eine Art Ultimatum. Unternehmen müssten sich für die betroffenen Softwares zeitnah europäische oder Open-Source-Alternativen suchen, denn mit ausbleibenden Updates werden Softwares schrittweise immer unsicherer.

So einzigartig und unvorstellbar ist dieses Szenario übrigens nicht. Im Falle Huawei mussten sich Unternehmen sich ebenfalls sehr schnell alternative Lösungen suchen.

Jockel: Was sind denn aus dieser Sicht die gefährlichsten Softwares für Europa? 

Fabian: Die größte Gefahr sehe ich klar bei Microsoft. Deren Software ist Standard auf vielen Endgeräten, gefühlte 95% der deutschen Industrie nutzen Microsoft in der IT-Landschaft. Direkt darauf folgt VMware, denn deren Software ist das Herz vieler On-Prem-Rechenzentren. Außerdem dürfen wir nicht die vielen Router und Switches vergessen, die inzwischen sehr viel Software enthalten. Dieser Bereich ist besonders gefährlich, weil es dort praktisch keine Alternativen gibt.

"Für die Software in Routern und Switches gibt es praktisch keine Alternativen"

Gregor: Lass uns einmal nicht von einer Totalblockade ausgehen, sondern ein spezifisches Szenario durchspielen. Was würde passieren, wenn wir keinen Zugang mehr zu VMware-Updates hätten? 

Fabian: Das wäre genau mein Spielfeld, die Orchestrierung von Workloads und Hardware. Hier hätte Europa eine Alternative, etwa OpenStack, Sovereign Cloud Stack (SCS) oder Gaia-X. Aber: Wir würden sehr schnell in zwei Probleme hineinlaufen.

Zum einen gibt es in Deutschland kaum Beraterbuden, die für OpenStack in großem Maß Migrationen durchführen können. Insgesamt haben wir zu wenige Fachkräfte, denn die meisten Unternehmen nutzen ja VMware und bilden nur hierfür aus. Und wir haben durch die Public-Cloud-Migration Know-how für Betrieb und Weiterentwicklung von Infrastrukturen verloren.

Die wenigen OpenStack-SpezialistInnen wären dann im Dilemma: Migriere ich jetzt die Workloads oder bilde ich neue Leute aus? Tagessätze würden krass steigen, wer sie noch zahlen könnte, bekäme die IT-Anwendungen gerettet. Dies wiederum würde weitere IT-Fachkräfte anziehen. KollegInnen, die heute kundennahe Anwendungen programmieren, würden umsatteln und fehlen dort natürlich. Es gäbe hohe gesellschaftliche Opportunitätskosten durch weniger Software-Updates, weniger Innovation und Fortschritt.

"Migriere ich jetzt die Workloads oder bilde ich neue Leute aus?"

Zum anderen hätten wir auch ein Problem mit der Software. Die Open-Source-Alternativen haben nicht die Tiefe und Schärfe von proprietärer Software wie VMware. Du kannst auch nicht anrufen bei der Open-Source-Community und sagen: „Hey, ich lasse hier eine Millionen Euro im Monat, jetzt bau‘ mir auch mal das neue Feature hier!“.

Gregor: Warte … Tiefe und Schärfe bei Software, was meinst du damit?

Fabian: 99% der heutigen Enterprise-Workloads kannst du mit OpenStack abbilden, die machen ja nichts Verrücktes: Virtuelle Maschine hochfahren, Applikation installieren, betreiben. Aber die verbliebenen 1% sind sehr relevant.

Stell Dir vor, du bist VMWare und hast ein Team von 5 Ingenieuren, die in ihren sehr gut bezahlten Vollzeitjobs dafür sorgen, dass die Provisionierung von Block-Storage in VMware-Systemen immer zuverlässig funktioniert. Dadurch, dass sie sich vollständig und dauerhaft auf dieses Problem konzentrieren können, erreichen Sie natürlich in diesem Bereich enorme Tiefe und eine entsprechend hohe Qualität für eine Sub-Funktionalität des Gesamtproduktes. Dadurch kann VMWare auch auf exotische Speichervarianten optimieren und jedes Detail der tausenden Komponenten von Virtualisierungs-Software mit dieser Funktionalität integrieren. In den Softwares von VMware, Microsoft und Konsorten stecken tausende Personenjahre an Erfahrung, was natürlich zu entsprechend hoher Funktionalität, Stabilität und damit Effektivität führt.

"Das Coole ist nicht notwendigerweise Block-Storage-Optimierung für Unternehmenskunden."

Und jetzt vergleiche das einmal mit OpenStack. Wenn du der Meinung bist „die Volumes provisionieren nicht so cool“, dann finde mal jemanden in der Community, der sich darum kümmert. Und dann finde einen, der sich auch von morgens bis abends mit Storage beschäftigen kann. Die meisten Open-Source-EntwicklerInnen aber werden sagen: „Ich habe einen Arbeitstag wie der Gregor, ich muss den ganzen Tag Management-Aufgaben übernehmen, auf die ich keinen Bock habe. Wenn ich abends heimkomme, dann will ich nochmal was Cooles machen.“ Und das Coole ist dann nicht notwendigerweise Block-Storage-Optimierung für Unternehmenskunden von OpenStack sondern vielleicht eher die Implementierung von RBAC für S3-Storage, weil das eben das Steckenpferd des Maintainers ist.

Die Incentives bei Open Source sind halt andere. Entweder die KontributorInnen finden die Challenge geil oder sie finden, dass ihr jeweiliges Open-Source-Ökosystem genau jene Funktion braucht, und dann entwickeln sie es halt für die Gemeinschaft. Der zielgerichtete Bedarf von Unternehmen ist dabei selten ein ausschlaggebender Faktor.

Durch diese Dynamik hat komplexe Open-Source-Software wie OpenStack deutlich weniger Tiefe und Schärfe im Vergleich zu proprietären Alternativen wie VMWare. Im Gegenteil: moderne Open-Source-Software ist meist eher breit aufgestellt und implementiert Features nur oberflächlich anhand des „allgemeinen Bedarfes“.

Gregor: Also zur Klarstellung: Ich habe großes Glück mit meinem sehr spannenden Corporate-Job!

Aber interessant: Bei der Schnell-Entwöhnung vom russischen Gas gab es viele verschiedene Bottlenecks. Langfristige Bezugsverträge, Transportkapazität, LNG-Terminals und Pipeline-Durchmesser. Bei Software scheint das Bottleneck im Wesentlichen bei den Menschen zu liegen. Das heißt aber auch: Im Katastrophenfall würden dann deren Gehälter deutlich steigen. Wie würde das den IT-Markt verändern?

Fabian: Diese Veränderung wäre durchaus positiv. Es gäbe eine Drucksituation, und da laufen wir Deutschen ja zur Hochform auf. Der enorme Zufluss von Kapital in den Bereich Infrastruktur-Software könnte dazu führen, dass die in Deutschland bereits vorhandenen Kleinunternehmen eine Chance hätten, wirklich zu wachsen. Aber Kunden könnten auch zu IONOS, Hetzner, wx-one oder Plusserver (mit dem Sovereign Cloud Stack) gehen. Es würden deutsche und europäische Hyperscaler entstehen. In einer solchen Situation würde sich auch zeigen, wer von denen am intelligentesten skaliert, wer am agilsten die Enterprise-Wünsche umsetzt.

Oder es gibt zum Beispiel eine Bude, die heißt X-Cellent, die machen etwas, das heißt metal-stack.cloud. Damit könnten Großkunden einfach VMware überspringen, sie könnten Kubernetes direkt auf Blech laufen lassen und, zack, sind schon fast ihr eigener Cloud-Provider. Denn in Kubernetes steckt schon sehr viel drin von allem, was du für Software-Entwicklung und -Betrieb benötigst, wenn die Anwendung nicht übertrieben komplex ist.

"Nach einem Software-Embargo durch die USA würden in Europa eigene Hyperscaler entstehen."

Mich würde es nicht wundern, wenn 3 Wochen nach einem solchen Schock 50 Firmen um die Ecke kommen und sagen: Wir haben schon eine 70%-Alternative zu VMware.

Gregor: Was ich also jetzt mitnehme: Wenn es im Bereich Software eine Krise gibt nach dem Muster der letzten Jahre, dann könnte man diese meistern. Kurzfristig würde es zu deutlichen, wirtschaftlichen Verwerfungen führen, mittel- und langfristig würde es aber ein Booster für das europäische Software-Ökosystem.

Fabian: Ja, genau das glaube ich. Wenn Du Dir Initiativen wie den Sovereign Cloud Stack im Kontext von Gaia-X anschaust, dann verfolgen die ja ein positives Narrativ. Also so etwas wie „Wir möchten ergänzende Angebote schaffen, uns insgesamt stärken durch Föderation und so.“

Aber das Problem ist: Menschen und auch das Wirtschaftssystem funktionieren anders. Erst wenn etwas hart schief geht, wenn jeder das Problem fühlt, dann ändert sich was.

Jahrzehntelang hieß es, ein LNG-Terminal in Deutschland würde zur Investitionsruine, das Gas darüber sei teurer als Leitungsgas und es würde nicht dauerhaft ausgelastet werden können. Mit dem Schlag ins Gesicht, etwa mit der Sprengung der Pipeline, ging es dann super-schnell. Die Krise war zwar viel teurer als nur ein LNG-Terminal zu bauen, etwas Chaos gab es auch, aber es hat funktioniert.

"Die Menschen mit Macht und Geld spüren kein Problem. Ist ja alles easy, die Maschine läuft ja."

Für uns Technologen wäre eine solche Situation wichtig. Wir können Software bauen, wir würden es gerne machen, aber wir dürfen nicht. Denn die Menschen mit Macht und Geld haben nicht die richtigen Incentives, sie spüren einfach kein Problem. Ist ja alles easy, die Maschine läuft ja.

Jockel: Gäbe es nicht eine Möglichkeit, die Veränderung hin zu europäischer Software auch ohne einen solchen Knall zu erreichen?

Fabian: Du meinst, dass wir den Wandel hinbekommen durch die reine, kognitive Erkenntnis, dass sich etwas ändern muss? Da gibt es diese unternehmerischen Lichtgestalten wie Elon Musk. Die haben sich den Markt mit einem frischen Blick angeschaut und gesagt: Das geht auch anders. Und dann haben sie diesen mit viel Durchhaltevermögen und Geld disruptiert.

In einem Markt wie Server-Virtualisierung sind die Marktanteile verteilt, da sehe ich das nicht. Bei neuen Technologien und Märkten wie AI könnte es funktionieren. Der Typ von Aleph Alpha könnte so jemand sein, ich hoffe es jedenfalls, denn Wachstumskapital hat er ja jetzt bekommen.

Gregor: Was ich jetzt mitnehme aus dem Gespräch mit Dir ist, dass die Abhängigkeit zu den US-Software-Riesen zwar groß ist, aber sie ist nicht gottgegeben.

Fabian: In der Tat, und sie ist nicht unabänderlich. Sie ist das Ergebnis der aktuellen Incentives, und sollten sich diese ändern, durch einen großen Knall oder durch eine intelligente Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, dann wäre dies eine große Chance für die europäische Software-Branche.

Gregor: Fabian, vielen Dank für das Gespräch.

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