Künstliche Intelligenz gibt es seit Langem. Schon kurz nach dem zweiten Weltkrieg begeisterten sich vor allem WissenschaftlerInnen für das Thema. Die praktische Nutzung der KI nahm mit der Zeit zu, blieb aber meist begrenzt auf spezifische, vorab trainierte Anwendungsfälle.
Vom Sandkasten der Wissenschaft ins Rattenrennen der Weltmächte
Das im November 2022 vorgestellte ChatGPT dann veränderte das Spielfeld: KI wurde nutzbar für eine Vielzahl von Anwendungen, auf die sie nicht spezifisch vorbereitet wurde. Dies führte zu einer globalen Investitions-Welle, in der es nicht um um eine offene Debatte um die besten Algorithmen geht, sondern um Skalierung, Wachstum, Geschäftsmodelle und Profite.
https://www.theverge.com/2024/2/1/24058186/ai-chips-meta-microsoft-google-nvidia/archives/2 Mehr noch: KI wird zum geopolitischen Rattenrennen. Wer hat Zugang zu den besten Daten? Wer kreiert die besten Modelle? Wer bekommt genug Chips zum Rechnen? Wer kann die Chips überhaupt noch mit Strom beliefern?
Die Frage dieses Artikels nun lautet: Hat Europa das Rennen um die eigene Souveränität im Bereich der künstlichen Intelligenz schon verloren, bevor es überhaupt richtig begonnen hat?
Digitale Souveränität ist Leistungsfähigkeit und Kontrolle
Um diese Frage zu beantworten, bedarf es einer kurzen Definition der Begriffe. Der Bitkom hat hierzu im Jahr 2015 das Spektrum der Souveränität veröffentlicht und definiert den Begriff wie folgt: „Wir verfügen in zentralen Technologiefeldern, Diensten und Plattformen über eigene Fähigkeiten auf weltweitem Spitzenniveau. Wir sind in der Lage, selbstbestimmt und selbstbewusst zwischen Alternativen leistungsfähiger und vertrauenswürdiger Partner zu entscheiden.“
Europa ist also dann souverän im Bereich der künstlichen Intelligenz, wenn es dort sowohl eine hohe Leistungsfähigkeit besitzt als auch die mit dieser Leistungsfähigkeit verbundene Wertschöpfung ausreichend gut unter Kontrolle hat.
Digitale Souveränität im Sinne des Bitkom bezieht sich nicht nur auf KI, sondern auf alle Aspekte des digitalen Lebens. Welche genau das sind, hat die Akademie der Technikwissenschaften im Jahr 2021 in einem Ebenenmodell definiert.
Diese Ebenen sind: Rohmaterialien und Vorprodukte (wie seltene Erden oder Energie), Komponenten (wie etwa Chips), Kommunikationsinfrastruktur (wie etwa Netzwerke), typischen Cloud-Technologien (wie IaaS, PaaS und Software), europäische Datenräume (wie CatenaX) und europäische Rechten und Werten (wie Datenschutz).
Auf jeder dieser Ebenen kann die eigene Selbstbestimmung leiden unter einem Mangel an Leistungsfähigkeit und/oder einem Mangel an Kontrolle.
Modelle können wir – Chips nicht
Wie nun sieht es aus mit Leistungsfähigkeit rund um die neue Technologie? Laut einer Studie der EU-Kommission fehlen es Deutschland und Europa, wie in den anderen Souveränitätsbereichen auch, vor allem an relevanten, eigenen Akteuren bei Rohmaterialien, Vorprodukten und Komponenten. Unser Weltmarktanteil an der Chip-Erzeugung ist nach wie vor gering. Schlüsselpositionen besitzen noch ASML und Zeiss im Bereich der für die Chiperzeugung notwendigen Maschinen.
Auch wenn Chips grundsätzlich auch für europäische Nachfrager verfügbar sind, dominieren im Bereich der IT-Infrastruktur für KI im Wesentlichen außer-europäische Player wie Nvidia, Google, Facebook und Microsoft/OpenAI. Ursache hierfür ist die in Europa noch wenig ausgeprägte Nachfrage nach großen Mengen von Rechenleistung.
Zu Beginn des aktuellen KI-Booms sah es zunächst so aus, dass Europa im Bereich der KI-Software abgehängt wurde. Die leistungsfähigen Modelle stammten im Wesentlichen aus den USA. Im Laufe des Jahres 2023 dann etablierten sich ebenfalls europäische Unternehmen (Bsp: Alepha Alpha, Mistral). Zudem veröffentlichte Facebook sein leistungsfähiges LLM Llama-3 unter einer Open-Source-Lizenz. Europäische Unternehmen können somit ohne hohe eigene Trainingskosten ebenfalls leistungsfähige KI-Anwendungen erstellen.
Bezogen auf die Ebenen Rechte, Werte und Datenräume wirkt der vorsichtige Umgang Europas mit den Daten anderer innovationshemmend. Praxis vieler US-basierter Innovationsführer scheint es zu sein, Daten zu nutzen, bevor sie die Zustimmung der Rechteinhaber einholen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wirkt dieses Vorgehen sehr erfolgreich: Umsatz und Wertsteigerung etwa von OpenAI übersteigen die nachträglichen Kosten für die Datennutzung um ein Vielfaches.
Bei Regulierung sind wir führend
Wie in allen anderen Souveränitätsdebatten auch, mangelt es uns in Europa an Kontrolle über die Rohmaterialien der Chipherstellung. Bezogen auf künstliche Intelligenz kommt zudem noch hinzu: Deren Betrieb benötigt sehr viel Energie. Sollte Europa also nennenswert eigene KI-Infrastruktur aufbauen, könnte es an entsprechendem Strom mangeln. Im Bereich der Chip-Herstellung ist unser Kontinent zudem stark abhängig von asiatischen Unternehmen aus Taiwan und Südkorea. Unsere starke Stellung im Maschinenbau für Chips wirkt hier zumindest abhängigkeitslindernd.
Wie schon geschildert, liegen die großen KI-Infrastrukturen außerhalb Europas. Da viele unserer Unternehmen aber noch nicht unmittelbar angewiesen sind auf deren Verfügbarkeit, stellt dieser Mangel noch kein akutes Problem bezogen auf unsere aktuellen Industrien dar. Mit zunehmender Adaption dieser Technologie aber wird auch KI-Infrastruktur zur kritischen Infrastruktur. Der Aufbau eigener solcher wird damit ratsam.
Im Bereich der Software-Technologien teilt sich die ganze Welt die Herausforderung, Fehlfunktionen von LLMs zu kontrollieren. Im Gegensatz zu klassischer Software hilft hier zudem der Open-Source-Ansatz nicht. Unternehmen wie Aleph Alpha haben es sich daher zur Aufgabe gemacht, die Nachvollziehbarkeit von LLMs zu verbessern.
Globaler Vorreiter ist die EU dagegen im Bereich der Regulierung. Ob diese Form der präventiven Kontrolle einer neuen Technologie gelingt und zu welchem Ausweichverhalten dies führt, werden wir der Welt ebenfalls führend zeigen.
Noch ist das Rennen nicht verloren
Die Analyse der 8 Ebenen der Souveränität bezogen auf künstliche Intelligenz zeigt: Die Lage für Europa ist durchwachsen. Immerhin ist sie nicht durchweg schlecht. Die großen KI-Modelle sind für uns Europäer gut verfügbar, alle anderen Kontinente kämpfen gleichermaßen um die Kontrolle der Halluzinationen. Europa ist hochgradig abhängig von der Chip-Produktion in Taiwan und Südkorea, aber die USA sind es immerhin auch. Zudem investiert Europa signifikant in die lokale Produktion von Chips.
Unsere Voreiterschaft in der Regulierung schützt uns wahrscheinlich vor dem gröbsten Missbrauch in der Zukunft, richtig verhindert hat sie wahrscheinlich noch keine Innovation.
Was aber nun sollte Europa tun, damit wir das Rennen nicht doch noch verlieren? Ich glaube wir sollten uns vor allem auf die folgenden 5 Maßnahmen fokussieren:
- Anwendungen schaffen: Unternehmen und KMUs müssen KI in allen Formen und Farben für ihr Geschäft nutzen. Nur so können sie ihre Produktivität steigern und im internationalen Wettbewerb weiter handlungsfähig bleiben..
- Wachstum finanzieren: Die erfolgreichen dieser Anwendungen sollten europäische Unternehmen global ausrollen. Wir Europäer müssen von den USA, wie man im 21. Jahrhundert globale Software-Geschäfte aufbaut. Dies schafft nicht nur Know-how, Arbeitsplätze und Umsätze, wir kreieren auch Abhängigkeiten, die uns im nächsten Handelskrieg helfen können.
- Lokalisierung der KI-Wertschöpfung: Mit öffentlichem und privatem Kapital, manchmal auch unterstützt durch Regulierung, müssen wir einen größeren Teil der globalen KI-Wertschöpfungskette nach Europa bringen. Auch das schafft Know-how, Arbeitsplätze, Umsätze und Gewinne, und fördert wieder die gegenseitigen Abhängigkeiten.
- Energieversorgung ausbauen: KI-Infrastrukturen werden nur in Europa angesiedelt, wenn Energieversorgung und -Preise international wettbewerbsfähig sind. Wir müssen also Wege finden, um unsere Energiesysteme einigermaßen nachhaltig zu skalieren.
- Nicht überregulieren: Auch mit dem AI-Act wird es Fehlschläge und ungewünschte Markt-Entwicklungen geben. Jede Person aber, die einmal eine Regel aufgestellt hat, sollte wissen: Kinder und Angestellte finden praktisch immer innovative Ausflüchte. Bevor wir also die aufkommende europäische KI-Dynamik im Keim ersticken, sollten wir lieber den Markt beobachten und bei möglichen Problemen schneller reagieren.
Kreative Zerstörung und Innovator´s Dilemma kann auch die USA und China treffen
Wie jeder Technologie-Sprung, so ist auch KI eine Chance aufzuholen. Die beiden Forscher Joseph Schumpeter und Clayton Christensen haben die Mechanismen dazu treffend beschrieben: In Wachstumsphasen zerstören neue UnternehmerInnen wie Sam Altman, Jonas Andrulis und Arthur Mensch die alten Gleichgewichte, Märkte werden neu verteilt. In den dann folgenden Sättigungsphasen werden die gleichen Unternehmen (und Nationen) alt und träge - siehe Microsoft vor Nadella, VMware vor Hock E. Tan und Deutschland in der Merkel-Zeit.
Jede nächste Technologie aber mischt die Karten wieder neu. Taiwan konnte so zum globalen Zentrum der Chip-Industrie werden, Apple Infineon mit seinen ARM-basierten CPUs und überholen und Microsoft den jahrelang uneinholbar scheinenden Suchmaschinen-Giganten Google bedrohen.
Lasst uns also versuchen, die Mega-Welle der künstlichen Intelligenz zu nutzen, und ein bisschen Boden gut zu machen, im geopolitischen Rattenrennen um digitale Souveränität.
Dieser Artikel ist entstanden in Zusammenarbeit mit dem KI-Park. Meine Präsentation aus der Arbeitsgruppe "Souveräne KI-Infrastruktur" wird hier in Kürze zum Download bereitstehen.