GaiaX Bingo – Die Eurocloud, der AI-Airbus oder ein European Data Space?

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31.05.2020
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6 min Lesedauer
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Was ist eine Cloud und warum ist sie so relevant?

Cloud ist die Automatisierung der IT-Wertschöpfung. Sie ist für die klassische IT-Branche ungefähr das, was die Erfindung von Dampfmaschine und Webstuhl für die Weber im 19. Jahrhundert war. Tätigkeiten, die in vielen Rechenzentren europäischer Unternehmen heute noch Menschen durchführen, sind in den Clouds der amerikanischen Anbieter vollständig automatisiert. Ein Azure-Rechenzentrum, wie etwa jenes in Dublin mit tausenden von Servern, bedarf zur Betreuung lediglich etwa 10-20 Mitarbeiter, die Betreuung und Weiterentwicklung des Netzwerkservices – welcher auf allen 100+ Rechenzentren von Microsofts genutzt wird, bedarf ebenfalls nur 10-20 Mitarbeiter. Fragen Sie einmal einen deutschen CIO, wie viele Mitarbeiter in seinem Rechenzentrum im Bereich Netzwerk arbeiten … Sie werden die Kraft des Dampfmaschine erkennen.

cloudahead Grafik Klassische IT vs Cloud
Die klassische IT steht zur Cloud wie die Weber zur industriellen Textilproduktion.

Die Metapher mit den Webern und der Dampfmaschine funktioniert an einer wichtigen Stelle nicht: Der mechanische Webstuhl produziert einen großen, standardisierten Stofflappen und benötigt lange Rüstzeiten, um einen anderen Lappen zu produzieren. Auch die Cloud ist standardisiert, aber sie ist in viele kleine Teile (Services) unterteilt. Jeder durchschnittliche Entwickler dieser Welt kann diese Teile schnell, kostengünstig und ohne Investitionsrisiko zu einem individuellen Stück Software zusammenbauen. Pokemon Go zeigt diese Möglichkeiten imposant: Die Entwickler von Nintendo kombinierten kostengünstig und schnell bestehenden Bausteine der Google Cloud für ihr neues Spiel. Mit zunehmendem Erfolg konnten sie das Spiel dann einfach auf weitere Cloud-Rechenzentren von Google ausrollen.

GaiaX – ein Wettbewerber der amerikanischen Public Clouds?

Soll GaiaX nun eine solche Cloud sein nach dem Vorbild von Google, Azure und AWS? Die Nachrichtenlage ist widersprüchlich. Der Markt jedenfalls ist vielversprechend. 2019 wurden weltweit ~100 Mrd US$ mit der Cloud (Statista) umgesetzt, ein Google-Executive erzählte mir, er ginge von einem Marktpotential von 1.600Mrd US$ aus. Auch wenn ein später Einstieg sicher mehr als 100Mrd€ kosten würde, scheint es also noch nicht zu spät.

GaiaX – der europäische Airbus der künstlichen Intelligenz?

Thomas Jarzombek als Vertreter Altmaiers sagte in der Süddeutschen Zeitung: „Mit Gaia-X bauen wir die Startrampe für den KI-Airbus" (Süddeutsche). Was könnte er damit meinen?

Zunächst einmal zum Thema künstliche Intelligenz: Es gibt da ziemlich viele Erklärungen, die schnell ins Mathematische gehen und Laien erfahrungsgemäß nicht weiterhelfen. Hilfreich finde ich folgende Erklärung: AI (Artificial Intelligenz) ist ein Sammelbegriff für Technologien, die uns helfen, menschliche Fähigkeiten wie Hören, Sehen, Interpretieren, Vorhersagen und Kategorisieren in Software abzubilden. Beispiele hierfür sind:

  • Spotify lernt unseren Musikgeschmack kennen und erstellt daraus Vorschläge
  • Tesla-Autos nehmen die Umgebung wahr und lenken sich daraufhin in die richtige Richtung
  • IBM erkennt Lungenkrebs in Röntgenbildern und erstellt Behandlungsvorschläge

Für solche Leistungen benötigt künstliche Intelligenz Daten. IBM bedarf des Röntgenbilds, Spotify benötigt Playlists aus der Vergangenheit. Wenn GaiaX nun zum AI-Airbus wird, dann muss es auch ein Datenflughafen sein. Wie aber kommt Altmaier an diese Daten? Erfahrungsgemäß geht das am besten, wenn es ein überzeugendes Produkt gibt, das die Bedürfnisse der Kunden befriedigt. Kunden nutzen Spotify, weil dort alle ihre Lieblingslieder abrufbar sind. Autofahrer kaufen Autos, weil sie damit fahren möchten, sie entscheiden sich basierend auf Leistung, Optik und Image.

Ergo: GaiaX müsste für Lungenärzte attraktive Leistungen anbieten. Sie müssen gerne ihre Röntgenaufnahmen dort ablegen, weil es einfach und günstig ist, oder weil bestimmte Leistungen nur dort verfügbar sind. Dann würde GaiaX zum Datenflughafen und könnte die weltbesten Algorithmen für Krebserkennung entwickeln.

Die gute Nachricht ist: So etwas können wir Europäer auch aufbauen auf Basis amerikanischer Infrastruktur. Und wenn wir die vorhandenen Technologien ordentlich nutzen, dann ist auch der AI-Airbus sicher und vor chinesischem oder russischem Zugriff geschützt.

Die schlechte Nachricht ist: Wir müssen jeden AI-Airbus einzeln bauen. Einen für Fahrerdaten und einen für Lungenärzte. Schlimmer noch: den Hautärzten hilft der Lungenkrebsservice nicht weiter, für Hautkrebs bedarf es anderer Daten und anderer AI-Algorithmen. Eine gute Idee also? Definitiv. Aber die Vorstellung wirkt abwegig, dass Andy Scheuer sich um die Auto-AI kümmert oder Wolfgang Schäuble zum Evangelist für LegalTech wird. Erfolgversprechender scheint es hier, europäische Firmen mit Geld und Regulierung zu erfolgreichen Branchenplattformen zu verhelfen.

GaiaX – die Quelle europäischer Souveränität?

In der Datenstrategie (Quelle) der EU-Kommission steht folgendes:

The European strategy for data aims at creating a single market for data that will ensure Europe’s global competitiveness and data sovereignty. Common European data spaces will ensure that more data becomes available for use in the economy and society, while keeping companies and individuals who generate the data in control.

Die Schlüsselworte habe ich einmal in eine Grafik gepackt:

cloudahead Grafik Schlüsselworte
Ziele der Europäischen Datenstrategie

Das ist eine spannende Mischung aus ökonomischen Themen (Funktionierende Märkte, Wettbewerbsfähigkeit) und politischen Konzepten (Datensouveränität, Datenschutz). Anhand des Beispiels „European Data Space for Autonomous Driving“, möchte ich einmal aufzeigen, wie schwierig es werden wird, diese Herausforderungen gleichzeitig zu meistern.

Wie sähe ein "European Car Data Space“ aus?

Alle Autos melden ständig alle (relevanten) Daten, die sie über ihre vielen Sensoren, Kameras und Radaren erheben, an den Data Space. Dort gibt es Services, die den Autofahren und der Allgemeinheit Mehrwerte basierend auf den Daten liefern. Dies führt dazu, dass …

… faktisch alle Unfälle vermieden werden (die Autos wissen ständig voneinander und vermeiden aktiv zusammenstöße)

… auf Ampeln verzichtet werden kann (der Verkehr wird vorausschauend aneinander vorbeigelenkt)

… alle Schlaglöcher verschwinden (durch eine Live-Landkarte von Beschädigungen in Kombination mit predictive Maintenance)

… Geschwindigkeitsüberschreitungen aktiv verhindert werden (und trotzdem alle schneller am Ziel sind)

Unglaubliche Vorteile also. Google hat den Weg mit seinem Androis-Betriebssystem und Google Maps vorgezeichnet. Nur: wollen wir den European Car Data Space wirklich von Google bauen lassen? Daten, AI-Fähigkeiten, Umsätze, Profite – alles würde bei den Amerikanern landen. Sicher nicht.

Würde ein deutsches Unternehmen diesen Service anbieten - Mercedes baut ein eigenes Auto-Betriebssystem (T3N), VW bastelt an einer Autocloud (Handelsblatt) – wären dann Renault und Fiat noch datensouverän, wenn sie sich den AGBs des MercedesOS oder der VolkswagenCLOUD beugen müssten? Und die Autofahrer, sind die datensouverän? Hätten die noch eine Wahl, nicht teilzunehmen – auch wenn nachgewiesenermaßen Menschenleben in der Größenordnung einer Corona-Pandemie durch ihre Teilnahme gerettet werden könnten? Und die Fußgänger die ständig kartografiert würden? Die notorischen Verkehrssünder die Geschwindigkeitsüberschreitungen live per Paypal zahlen müssten?

Ein wirtschaftlich erfolgreicher Common European Data Space, bei dem jeder gerne mitmacht, der allen nutzt und bei dem Unternehmer und Konsumenten jederzeit datensouverän sind, verbleibt erst einmal eine Utopie.

Die drei Szenarien von GaiaX

Nach ausführlichem Buzzword-Binge sehe ich nun für GaiaX drei Szenarien

  1. Infrastruktur-Cloud: Wir bauen eine europäische Infrastruktur-Cloud auf, die den amerikanischen Giganten Google, AWS und Azure Paroli bietet.
  2. Daten-Giganten: Wir bauen neue europäische Digitalgiganten auf, die dann ihre jeweilige Geschäftsdomäne (e.g. autonomes Fahren, Gesundheitsbranche, …) mit ihren Platformen, den angesammelten Daten und AI dominieren.
  3. Dritter Weg: Wir finden einen dritten Weg, ohne dass wir Milliarden in neue Cloud-Infrastrukturen investieren müssen oder einzelne Unternehmen zu Platform-Giganten protegieren.

Letzteres könnte dann etwa die „föderierte Cloud“ sein, oder auch eine Art digitaler Staatskapitalismus. Bleiben Sie also dran, im nächsten Artikel gehen wir ein auf die aktuellen Ideen der föderierten Cloud.


Andreas Tamm und Roland Frank haben bei der Erstellung dieses Artikels unterstützt.

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