Die Clouds als Buzzword der IT feiert bald ihren 20. Geburtstag. Sie hat Amazon, Microsoft und Google in die Top5 der wertvollsten Unternehmen dieser Welt katapultiert, auf dem Weg dorthin Pokemon Go zum Welterfolg verholfen, und auf dem Weg dorthin eine schier endlose Zahl von Software-Startups reich und erfolgreich gemacht. Was aber ist die Cloud genau? Und vor allem: wer ist dafür zuständig?
Ionos definiert Cloud als „[…] Speicherplatz, Rechenleistung und ausführbare Software in einem räumlich entfernten Rechenzentrum […]“. Cloudflare wiederum spricht von der Cloud als „[…] verteilte Sammlung von Servern, auf denen Software und Infrastruktur gehostet werden.“ Bei oberflächlichem Hinschauen also scheint Cloud ein IT-Thema zu sein.
Genau jener oberflächliche Blick aber ist auch der Grund für die große Irrtümer, denen viele Top-Führungskräfte in Wirtschaft und Verwaltung unterliegen.
Irrtum 1: Cloud als Infrastruktur-Thema betrachten
Der erste große Irrtum ist: Cloud wird häufig als reines IT-Infrastruktur-Thema betrachtet. Natürlich ist in Cloud-Projekten immer in irgendeiner Form Rechenleistung, Speicher und Netzwerk involviert. Nur werden Cloud-Projekte tatsächlich mit dem Fokus auf IT-Infrastruktur-Themen verfolgt, verfehlen sie einen Großteil ihrer Wirkung.
Folgende Metapher hilft beim Verständnis: Nur die IT-Infrastruktur in die Cloud zu migrieren, ohne auch Middleware und Applikationen an die neuen Cloud-Paradigmen anzupassen, ist wie ein Pferd auf ein Auto zu stellen. Einige Vorteile des Autos lassen sich auf diese Weise nutzen: Das Pferd auf dem Auto kann mehr als 100km pro Tag reisen, auch die Höchstgeschwindigkeit verbessert sich. Nur bleiben zusätzlich zum Autofahrer auch Reiter, Pferd und Zaumzeug notwendig. Die echten Vorteile der motorisierten Mobilität werden kaum genutzt.
Die Metapher übertragen auf die Cloud-Welt bedeutet: Wenn Cloud-Technologie nur auf der IT-Infrastrukturebene eingeführt wird müssen Software-Entwicklungs-Teams ihre IT-Services weiterhin per Telefon, Email oder Prozessformular bei der IT-Abteilung bestellen, obwohl im Hintergrund die Bestellung via Programmierschnittstellen (APIs) oder grafische Nutzeroberflächen (GUIs) schon möglich ist. Die alte IT-Abteilung mit ihren alten Prozessen und Strukturen bleibt weiterhin das Bottleneck. Die schnelle Entwicklung von neuen Software-Features sowie die flexible Anpassung der Rechenleistung an die tatsächliche Nachfrage bleiben weiterhin Theorie.
Mit der Migration der eigenen IT-Landschaft auf eine Cloud-Infrastruktur also ist die Cloud-Transformation mitnichten abgeschlossen. Der Schlüssel zu den vielen fachlichen Vorteilen der Cloud liegt auf den oberen Ebenen der IT, der Middleware, der Verbesserungen der Bestellprozesse und der besseren Transparenz. Zu einer Cloud-Transformation gehört auch die Überarbeitung der Software-Architekturen und die Verbesserung der Kundennähe der Produktentwicklungsteams.
Irrtum 2: Nur die Kosten der Infrastruktur-Komponenten vergleichen
Der nächste Denkfehler von Cloud-Anfängern lautet: „Cloud macht das Gleiche wie ein herkömmliches Rechenzentrum: Speicher, Netzwerk, Compute und Datenbanken. Wenn ich also wissen möchte, ob sich eine Migration in die Cloud rechnet, muss ich nur die Preise der Komponenten vergleichen.“ Wenn die Cloud (zuzüglich der Migrationskosten) billiger ist als mein klassisches Rechenzentrum, dann kann es losgehen.
An dieser Stelle wiederum hilft die Brot-Back-Analogie: Wann macht es Sinn, Brot selbst zu backen, statt es beim Bäcker zu kaufen? Die Komponentenpreise der eigenen Herstellung liegen bei ungefähr 2 € (Mehl, Salz, Hefe/Sauerteig, Wasser und Strom). Ein fertiges Brot hingegen kostet zwischen 3 € und 6 €. Der reine Blick auf die Komponenten lässt nur eine Entscheidung zu: Selbst backen. Warum aber kaufen so viele Menschen ihr Brot beim Bäcker? Weil gutes Brot zu backen viel Kompetenz, Zeit und Aufmerksamkeit erfordert. Das Mehl eines Ciabattas etwa benötigt mehr als 13% Eiweißanteil, der Teig wird zwei Tage im Voraus angesetzt. Aufgrund des hohen Wasseranteils ist er nur schwer zu kneten. Zur Stärkung des Glutengerüsts muss er alle 12 Stunden gedehnt und gefaltet werden. Er nimmt 48h lang Platz im Kühlschrank ein. Die Temperatur und Luftfeuchte des Ofens müssen stimmen. Um immer genug Brot zu haben, bedarf es einer genauen Bedarfs- und Prozessplanung.
Warum erzähle ich das so detailliert? Die Komplexität des Brotbackens ist sehr gering im Vergleich zum Betrieb eines Kubernetes-Clusters, und Kubernetes ist nur einer der Services, die Sie für ein funktionierendes Rechenzentrum benötigen. Wenn Sie als Führungskraft aber ihre Cloud-Migrations-Entscheidung aufgrund einer Kostenanalyse der Komponenten treffen, dann ignorieren Sie all jenen Ungemach, der auf dem Weg von der Bestellung über die Lieferung bis zur Abrechnung jener Komponenten ebenfalls anfällt.
Zu diesem Ungemach gehört, dass Ihre Fachabteilungen teilweise monatelang warten müssen, bis die gewünschten IT-Services verfügbar sind. Dazu gehört, dass Sie neue Services selbst aufbauen müssen. Anstatt diese flexibel ausprobieren zu können, müssen Sie eine langjährige Finanzplanung machen und überlegen, ob und unter welchen Bedingungen sich die Services rechnen. Sie müssen rare und mitunter divenhafte IT-ExpertInnen heuern, ausbilden und zur 24/7 bezirzen. Es geht darum, Mitarbeitende zu halten, die Ihren IT-Stack und Ihre Arbeitsmethoden für veraltet halten, die bei AWS & co das Dreifache verdienen würden und die auf jeden Fall bei einem Wettbewerber 100% Homeoffice erhielten. Sie müssen Debatten moderieren zwischen den Change-Wünschen der Software-EntwicklerInnen und den Stabilitätsideen der IT-Infrastruktur.
Misstrauen Sie also einfachen Kostenvergleichen. Beobachten Sie realistisch, wie viel Zeit, Energie und Budget Sie auf welche Art von IT-Themen Sie verwenden. Versuchen Sie zu verstehen, wie sich die Kosten-/Nutzensituation verändert, wenn IT-Ressourcen wirklich binnen Sekunden bestell-, liefer- und abrechenbar sind. Die Preise einer virtuellen Maschine werden hier nur eine untergeordnete Rolle spielen. Viel mehr wird es gehen um die Bedeutung von IT für Ihr Kerngeschäft, um Kontrollbedarf, um Lock-In und Abhängigkeit, um Flexibilität und um Geschwindigkeit in der digitalen Leistungserbringung.
Irrtum 3: Cloud-Entscheidungen an die IT-Abteilung delegieren
Der nächste Irrtum lautet „Cloud ist ja IT, und dafür ist auch die IT-Abteilung zuständig.“ Meine 6-jährige Tochter würde sagen: „Ist doch logisch!“. Die passende Analogie an dieser Stelle lautet: Ein Kino-Besuch ist keinLogistikprojekt, nur weil man unterwegs eine Straße betritt.
Ein Musterbeispiel für diesen Irrweg ist die Deutsche Verwaltungscloud-Strategie. Es geht dort um Effizienz im IT-Betrieb, Reduktion von Abhängigkeiten, Informationssicherheit, Standardisierung und Interoperabilität. Aber in keinem Wort aber wird erwähnt, dass Cloud-Technologien und -Methoden (wie e.g. Agile, Scrum, CI/CD) der Schlüssel zu mehr Bürgernähe sein könnten. Zu Nutzerfreundlichkeit für Software-EntwicklerInnen in Behörden, zu schneller Implementierung von Gesetzesänderungen und zu einem durchdigitalisierten Staat.
Die Deutsche Verwaltungscloud-Strategie scheint mir eindeutig von IT-ExpertInnen geschrieben. Schlimmer noch, von IT-ExpertInnen, die sicher gehen wollen, dass sich in ihrem Verantwortungsbereich nicht allzu viel ändert. Delegieren Führungskräfte strategische IT-Entscheidungen an die Vertreter der alten IT-Generation, dann entsteht meist Aktivität. Was aber selten passiert, ist die Einführung der neuen IT-Generation. Wer den Sumpf trockenlegen möchte, der fragt besser nicht die Frösche.
Top-Führungskräfte haben also bei Technologiesprüngen das besondere Problem, dass sie ihren eigenen Technologie-ExpertInnen nicht trauen können. Häufig bringen sie überzeugende Einwände. Sie erzählen Geschichten von Cybersicherheit und Datenschutz, von FISA und CLOUD Act, von Vendor-Lock-In und von fehlender Souveränität. Aber es kann auch sein, dass die Inhouse-IT die eigene Cybersicherheit nicht richtig einschätzt. Es kann sein, dass sie vergessen haben zu erwähnen, dass auch deutsche IT-Dienstleister ihre Daten an Geheimdienste herausgeben müssen. Dass es auch OnPrem riesige Vendor-Lock-Ins gibt, etwa bei Oracle und SAP. Und dass es mit digitaler Souveränität nicht weit her sein kann, wenn man von VMware und Cisco abhängig ist.
Gregor Hohpe beschreibt dies in seiner auf Führungskräfte fokussierten Filmserie “Tea and Transformation” wie folgt„Good Managers used to be the ones, who don´t get into the details, who manage by objectives alone. But now it is the exact opposite. Decision makers need to understand the decisions taken in their IT engine room.“ Wie tief müssen also die vielen JuristInnen und Finanzleute in Deutschlands Chefetagen rein, in die stickige Hölle der IT? Auch dazu hat Gregor eine Antwort: Führungskräfte müssen die Technologie so weit verstehen, dass sie deren Spezifika in einen Wettbewerbsvorteil umwandeln können.
Übertragen also auf Nancy Faeser (Juristin) und Volker Wissing (Jurist): Unsere Digitalpolitiker müssen verstehen, dass Cloud und die mit ihr verbundenen Methoden kein Evolution der IT-Infrastruktur sind, sondern der Schlüssel zur schnellen und wirkungsvollen Umsetzung ihrer Gesetze in einer digitalen Welt. Verstünden die vielen JuristInnen, VolkswirtInnen, PolitikwissenschafterInnen und Kaufleute in der deutschen Politik-Sphäre, wie sie die staatliche, digitale Wertschöpfung mit Hilfe der Cloud modernisieren könnten, hätte Deutschland wieder eine Chance im Kampf um das Vertrauen unserer Bürger und im Systemwettstreit mit China.
Irrtum 4: Fachabteilungen weitermachen lassen
Der nächste Denkfehler ist der Zwillingsbruder des vorangegangen: „Wir in der Fachabteilung sind davon ja nicht betroffen.“
Die Auswirkungen dieser Fehleinschätzung lassen sich gut mit einer weiteren Analogie, dem Technologiesprung von der Dampfmaschine zum Elektromotor, erklären. Erstere gab es in den Unternehmen des 19. Jahrhunderts in der Regel nur einmal. Sie war riesig und stand in einer Maschinenhalle. Ihre Energie wurde in Form einer sich drehenden Achse weitergegeben, an Pumpen, Webstühle und andere Maschinen. Irgendwann dann wurde sie vom Elektromotor abgelöst. Unternehmen tauschten nun die Dampfmaschinen aus und ersetzen sie 1:1 mit der neuen Technologiegeneration. Der kleine, kümmerliche Elektromotor stand nun in der weiterhin riesigen Maschinenhalle und trieb die gleiche große Achse an. Es benötigte weitere 20 Jahre und eine neue Generation von Fabrikführungskräften, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, besser viele Elektromotoren dezentral aufzustellen.
Analog dazu verhält es sich mit dem Technologiesprung von der klassischen IT zur Cloud. Wenn Fachabteilungen die Cloud genau so ansteuern, wie ihre alte IT-Abteilung, dann bleiben die Chancen der Technologie ungenutzt. Erst wenn auch IT-ferne Fachleute sich mit den spezifischen Eigenheiten der Cloud auseinandersetzen, wird ihr Geschäft wirklich profitieren.
Die deutsche Digitalpolitik unterliegt mit ihrem Konstrukt des IT-Planungsrats genau dieser Fehlannahme. Um schnell, sichere und bürgernahe Fachverfahren zu entwickeln, bedarf es eben nicht einer jahrelangen Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Viel wichtiger wäre, die Einführung kleiner, cross-funktionaler Teams nah am Bürgerbedarf, besetzt mit Fach-SpezialistInnen, Verwaltungs-ExpertInnen, Software-EntwicklerInnen und Cloud-ArchitektInnen. Die darunterliegende Cloud muss im Wesentlichen dem aktuellen Stand der Technik entsprechen und ein ausreichendes Maß an Datensouveränität zulassen. Solche Clouds gibt es genug.
Irrtum 5: Wir können in der Cloud Kosten sparen.
Gerade Führungskräfte, die ihre Karriere über Kostenmanagement und das Controlling gemacht haben, verfallen mit dem Einzug der neuen Technologie-Generation namens Cloud in einen reflexartigen Irrtum: „Wir können mit der Cloud Kosten sparen.“
Oberflächlich betrachtet erscheint dies nachvollziehbar, denn wer von der Dampfmaschine auf den Elektromotor umsteigt, benötigt ja keine Kohle mehr. Nur: der Elektromotor setzt eine neue Art der Energieversorgung voraus, einschließlich neuer Ausgaben für Stromleitungen und Stromgeneration.
Auch diese Analogie lässt sich übertragen. Durch die Automatisierung der IT fallen zwar jene Rollen weg, die sich um die Abwicklung von manuellen Bestell-, Liefer- und Abrechnungsprozessen gekümmert haben, aber Investitionsbedarf entsteht dennoch:
- Beschließt das Unternehmen, ihre interne IT durch die Einführung einer Private Cloud zu automatisieren, dann müssen neue Teams gegründet und Tools angeschafft, Prozesse optimiert und in Service-Portale und Schnittstellen überführt werden.
- Beschließt das Unternehmen, in die Public Cloud zu gehen, dann lassen sich die Hyperscaler dieser Welt den Nutzungskomfort und die Service-Breite ihrer „Maschine“ über höhere Stückpreise entlohnen.
In beiden Fällen entstehen Weiterbildungsbedarfe bei den Software-Teams und in den Stabsabteilungen, Betriebs- und Geschäftsmodell ändern sich, Change-Bedarfe müssen gemanaged werden.
Führungskräfte, die ihre Cloud-Reise beginnen, sollten nicht annehmen, dass sie mit dem Technologie-Wechsel die Gesamtkosten für IT senken. Die Details dieser Diskussion sind vielfältig, daher hier noch einmal der Rückgriff auf die Pferde/Eisenbahn-Metapher: Die moderne Eisenbahn transportiert Gäste pro Reisekilometer günstiger, als es die Postkutschen der Vergangenheit jemals vermochten. Die Kosten aber in Summe, die Deutschland für Bahntransport im 21. Jahrhundert ausgibt, sind um ein Vielfaches höher als jene der preussischen Staatspost vor 150 Jahren.
Mit jeder neuen Welle der Technologie durchdringt IT die Organisationen tiefer und umfassender. IT-Budgets sind in der Vergangenheit gestiegen und mit jeder neuen Technologiewelle werden sie weiter steigen.
Alle Führungskräfte tragen Tech-Verantwortung
Die Cloud automatisiert die IT von der Bestellung über die Lieferung bis zur Abrechnung. Dies gilt für eine (gut funktionierende) Private Cloud genauso wie für die Public Cloud.
Diese Automatisierung führt dazu, dass jegliche Form von IT beliebig schnell, klein und groß angesteuert werden kann. Diese Fähigkeit der Cloud war es, die den Technologiesprung ausmachte und auf deren Grundlage sie die weiteren Technologiesprünge ermöglichte. Data Analytics, Machine Learning, Generative AI, you name it.
Die nun mögliche Automatisierung verändert die komplette IT-Wertschöpfungskette. Geschäftsmodelle, interne Organisation, Rollen und Aufgabenteilung, Mitarbeitenden-Produktivität, Produktivitätsfortschritte einer Nation, alles was mit Computern zu tun hat. Genau jene Vielfalt der Auswirkungen aber wird von den IT-ExpertInnen selbst unterschätzt, manchmal aufgrund mangelnden Wissens, manchmal aufgrund von Eigeninteresse.
Alle Führungskräfte, denen an der digitalen Leistungsfähigkeit ihrer Organisation gelegen ist, müssen sich also mit den Details des IT-Maschinenraums auseinandersetzen. Sie müssen die richtige Richtung für ihre Organisation erkennen und den notwendigen Wandel mit einem Mindestmaß an technischer Tiefe moderieren.