Fünf Beispielprojekte
Organisationen unternehmen sehr unterschiedliche Anstrengungen um ihre digitale Souveränität zu erhöhen:
- München tauschte in den 90er Jahren ihre Windows-PCs gegen Rechner mit Linux-Betriebssystem aus. Es wurde dadurch unabhängiger von einem einzelnen Lieferanten und hatte mehr Kontrolle über die genutzte Software.
- Das Forschungszentrum CERN nutzt den Open-Source-basierten Online-Datenspeicher von ownCloud für die Dateiablage. Es hat dadurch ebenfalls mehr Kontrolle über die Software-Wertschöpfungskette.
- Der Cloud-Anbieter StackIT nutzt die Open-Source-basierte Entwicklungsplattform Cloud Foundry. Er wird dadurch unabhängiger von der eingesetzten Infrastruktur und erhält mehr Kontrolle über die Software-Wertschöpfung.
- Geschädigte Kunden des Rechenzentrums-Brandes bei OVH nutzen seitdem vorhandene Backup-Dienste und bleiben dadurch beim nächsten Ausfall konstant leistungsfähig.
- Der Bund baut eine eigene Cloud für die Verwaltung auf. Im Vergleich zu seinen aktuellen Rechenzentren wird er jetzt leistungsfähiger und behält das gleiche Maß an Kontrolle.
Souverän oder autark?
Zur Erinnerung: Laut Wirtschaftsministerium ist digitale Souveränität “die Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln im digitalen Raum” (Quelle). Selbstbestimmung beinhaltet sowohl digitale Leistungsfähigkeit als auch Kontrolle. Dagegen abzugrenzen ist, laut der Bitkom, die digitale Autarkie. Letztere stellt die Idee der vollständigen Kontrolle der eigene Wertschöpfung über das Ziel der eigenen Leistungsfähigkeit. Autarke Organisation reduzieren Abhängigkeiten vollständig, nehmen dafür aber in Kauf, weniger und schlechtere digitale Leistungen zu erbringen als Wettbewerber.
In einer Metapher gesprochen: Der Einsiedler ist autark, er lebt im Wald von seinem Garten. Im Winter nimmt die Auswahl ab und ab Januar gibt es Steckrüben mit Salz. Ein souveräner Bürger hingegen baut selbst an, nutzt mehrere Lieferanten und betreibt geschickt Lagerhaltung. Er ist - dank der Tiefkühltruhe - auch im Januar noch lecker und tauscht das - kriegsbedingt knappe - ukrainische Sonnenblumenöl durch das etwas teurere Olivenöl aus Spanien aus.
Leistungsfähigkeit und Kontrolle aber sind keine absoluten Begriffe. Der souveräne Bürger hat bei seiner Lagerhaltung klar im Blick, für welche Szenarien er einlagert: Geht es darum, unter normalen Umständen seine 5-köpfige Familie zu bekochen? Oder möchte er im Kriegsfalle ein Batallion bekochen? Oder geht es eher um eine Minimalabsicherung für die nächste Pandemie?
Zum Beginn jeder Debatte um digitale Selbstbestimmung sollten also die Souveränitäts-Ziele festgelegt werden.
17 konkrete Souveränitäts-Ziele
Innerhalb dieser Oberbegriffe Leistungsfähigkeit und Kontrolle können Organisationen unterschiedliche, sehr konkrete Anliegen verfolgen. Die folgende Übersicht zeigt 17 konkrete Souveränitätsziele, aufgeteilt in 5 Kategorien:
Leistungsfähigkeit erhalten
- Bestehendes Geschäft gleichbleibend weiterbetreiben
- Starke und spontane Nachfrageschwankungen abbilden
- Funktionsfähigkeit bei Naturkatastrophen sicherstellen
- Funktionsfähigkeit bei Krieg im eigenen Land sicherstellen
Leistungsfähigkeit ausbauen
- Schnell neue digitale Produkte entwickeln
- Eine zeitgemäße User Experience bieten können
- Gleiche Tools wie Wettbewerber nutzen können (Level Playing Field)
- Schnell und kostengünstig Lieferanten wechseln können
Externe Vorgaben einhalten
- Gewünschte Zertifizierungen erreichen
- Aktueller Regulierungsvorgaben einhalten
- Jegliche Zuständigkeit fremder Legislation vermeiden
Ungewollte Zugriffe vermeiden
- Zugriff durch fremde Legislation praktisch verhindern
- Schutz vor Kriminellen sicherstellen
- Schutz vor fremden Geheimdiensten sicherstellen
Abhängigkeiten vermeiden
- Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten vermeiden
- Abhängigkeit von einzelnen Softwares vermeiden
- Abhängigkeit von bestimmten Ländern vermeiden
Sind die Unternehmen jetzt digital souverän?
Zurück zu den Beispielen zum Eingang dieses Artikels: Alle fünf Organisationen haben mit ihren Projekten ihren Grad der Souveränität erhöht.
- Der BUND wird mit seiner BundesCloud leistungsfähiger. Er wird schneller neue Applikationen entwickeln können und diese besser skalieren können.
- Die Kunden von OVH werden in Zukunft einen Backup-Service nutzen und im Falle des nächsten Brandes weiterhin leistungsfähig bleiben.
- StackIT könnte dank Cloud Foundry einfacher den Infrastruktur-Betreiber wechseln und reduziert die eigene Abhängigkeit von einem Anbieter.
- Und sowohl das CERN als auch die Stadt München haben potentiell viel Kontrolle über die von ihnen eingesetzt Open-Source-Software
Ob die fünf Organisationen mit ihren Projekten etzt alle ihre Souveränitäts-Ziele erreicht haben, lässt sich aus der Entfernung nicht sagen. Ohnehin ist davon auszugehen, dass nach Pandemie, Supply-Chain-Krise und Krieg in Europa, viele Unternehmen gerade ihre Szenarienplanung überarbeiten.