Wie digital leistungsfähig ist Deutschland wirklich?

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03.04.2023
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5 min Lesedauer
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Die Erwartungen der Bürger an die Rolle der öffentlichen Hand haben sich mit zunehmender Digitalisierung gewandelt. Der Staat soll nicht nur Daten und Infrastrukturen unter Kontrolle behalten, er soll auch digital leistungsfähiger werden. Im Webinar zu unserem Whitepaper "Digitale Souveränität im Cloud-Zeitalter" haben 46% der Zuhörer die Leistungsfähigkeit ihrer eigenen Organisation als "sehr leistungsfähig" oder zumindest "mittel-leistungsfähig" eingeschätzt. Diese Einschätzung ist, in Anbetracht der meist negativen Berichterstattung zu deutschen Digitalprojekten, optimistisch und naturgemäß subjektiv. Die Forschungsfrage dieses Artikels lautet nun: Gibt es objektive Kriterien zur Bewertung der digitalen Leistungsfähigkeit einer Organisation? Und wie leistungsfähig ist Deutschland gemäß dieser Kriterien?

Wir wissen alle, was möglich ist

BürgerInnen sind die wesentlichen Konsumenten staatlicher Leistungen. Sie wissen, dank der alltäglichen Nutzung privater Digitalangebote wie Netflix, Whatsapp und Facebook auf ihren PCs und Mobilgeräten sehr gut, was technisch, visuell und haptisch mit moderner Digitaltechnologie möglich ist. Basierend auf diesen Nutzererfahrungen entsteht die Erwartungshaltung an die Rolle öffentlicher Institutionen in der digitalen Welt.

Definition der digitalen Souveränität nach dem CIO des Bundes

Die Messlatte ist hoch und amerikanisch

cloud ahead hat im Rahmen des Whitepapers sechs Souveränitätsziele für die Leistungsfähigkeit staatlicher IT herausgearbeitet.

Die 6 Souveränitätsziele für Leistungsfähigkeit in Deutschland

Die Vorbilder stammen praktisch alle aus Nordamerika, insbesondere kleine deutsche Unternehmen zeigen aber, dass eine vergleichbare Leistungsfähigkeit auch hierzulande möglich ist.

Fachliche Probleme intelligent mit IT lösen

Musterbeispiel: Salesforce hat es mit seiner Cloud-Plattform IT-Lösungen geschaffen für fachliche Herausforderungen aus den Bereichen Sales und Marketing. Kunden können per Mausklick und ohne Installation einsteigen (im Gegensatz zum klassischen SAP-CRM) und finden umfangreiche Möglichkeiten zur Automatisierung sowie vorgefertigte Templates und Fachprozesse.

Positiv-Beispiel aus Deutschland: Der Übersetzungsdienst DeepL löst das fachliche Problem "Übersetzung" mit allen Mitteln der Digital-Technologie. Die inhaltliche Kernaufgabe übernimmt eine künstliche Intelligenz. DeepL löst darüber hinaus viele begleitende Probleme des Nutzers: Es erkennt die Sprachen, übersetzt nicht nur Text sondern auch ganze Dokumente und bietet Schnittstellen (APIs) zur Integration in andere Software.

Negativ-Beispiel aus Deutschland: Die Software "Elster Online" bietet eine digitale Oberfläche zur Abgabe von Steuererklärungen nutzt aber sonst keines der Potentiale der digitalen Transformation. Elster füllt die Formular nicht eigenständig, basierend auf vorhandenen Informationen der Vorjahre sowie aus der Kommunikation mit den Arbeitgebern, aus. Hochgeladene Belege werden nicht automatisch eingelesen, interpretiert und im Sinne des Nutzers verwendet. Auch die Erteilung des Steuerbescheids könnte vollautomatisch binnen Sekunden erfolgen.

Schnell Ideen umsetzen

Musterbeispiel: Tesla entwickelt ständig neue Funktionen für seine Autos und spielt diese mehrfach pro Monat in die Betriebssysteme der Fahrzeuge ein. Im Falle eines Hurrikan im Jahr 2016 hat das Unternehmen sogar spontan zusätzliche Reichweite für die Autos verfügbar gemacht.

Positiv-Beispiele aus Deutschland: Innus Banking ist ein kleines Unternehmen aus Frankfurt, das binnen 2 Jahren mit 7 Mitarbeitenden ein Core-Banking-System entwickelt hat. Details hierzu im Anwendungsbeispiel in unserem Whitepaper.

Negativ-Beispiel aus Deutschland: VW kämpft seit Jahren damit seine Autos ebenfalls mit Fernupdates zu versorgen. Aufgrund von Problemen mit der Software verschiebt sich zudem das Prestige-Projekt Trinity immer wieder.

Automatisierung von der Bestellung über Lieferung bis zur Abrechnung

Musterbeispiel: Die NutzerInnen von Microsoft Azure können über 1000 IT-Services binnen Sekunden bestellen, nutzen und bezahlen.

Positiv-Beispiele aus Deutschland: Das deutsche Unternehmen ScaleUp hat die Banking-Software von Innus binnen zwei Wochen mit entsprechender Infrastruktur und Container-Lösungen versorgt.

Negativ-Beispiel aus Deutschland: Bestellung, Lieferung und Abrechnung von IT-Services sind in praktisch allen klassischen Rechenzentren ein manueller Prozess. Von Vertrieb über Presales, Lösungsarchitektur bis Bereitstellung und Konfiguration der Services sind eine Vielzahl von Experten einzubinden und meist von einem separaten Projektleiter zu koordinieren. Die Lieferzeit einer einfachen Firewallkonfiguration dauert dann etwas zwischen einem Tag und mehreren Monaten.

Von klein zu global und wieder zurück

Musterbeispiel: Pokemon Go plante nicht ein globales Phänomen zu werden. Nach den ersten Nutzerreaktionen war aber klar: Eine globale Infrastruktur ist nötig. Die Google Cloud Platform skalierte die Anwendung binnen weniger Wochen zur größten Spiele-App des Jahres 2016.

Positiv-Beispiele aus Deutschland: N26 setzte als erste deutsche Bank auf eine skalierende, Public-Cloud-basierte, Plattform. Damit konnte es das Wachstum von 2,3 Mio. Kunden binnen 48 Monaten IT-seitig gut abbilden.

Negativ-Beispiel aus Deutschland: Für die Einmalzahlung der Energiepreispauschale hat das zuständige Bundesministerium eine Webseite eingerichtet. Aufgrund der Vielzahl der gleichzeitigen Abrufe war diese dann direkt zum Start überlastet. Vergleichbare Probleme beim gleichzeitigen Einloggen aller Schüler am Montag morgen gab es schon bei Lernplattformen in der Corona-Pandemie.

IT mit IT einfach verbinden

Musterbeispiel: Stripe ist ein Online-Bezahldienst aus Kalifornien, der u.a. Kreditkartenzahlungen abwickelt. Der Service selbst unterscheidet sich im Ergebnis kaum von seinen Wettbewerbern, ist allerdings über APIs (Programmierschnittstellen) in andere Softwares mit wenig eigenem Aufwand einbindbar.

Positiv-Beispiele aus Deutschland: Contentful ist ein Headless CMS (Content-Management-System). Es verzichtet auf eigene Oberflächen und ist im Wesentlichen über APIs einbindbar. Entwickler können das System kostenlos testen und sehr einfach in ihre jeweilige Umgebung einbinden.

Negativ-Beispiel aus Deutschland: Statt die Systeme von beteiligten Gesundheitsämtern, Ärzten, Apotheken und Krankenhäusern über einfach zugängliche und sichere APIs zu verbinden, wurden Daten über "Fax und Zettelwirtschaft" ausgetauscht.

Umdenken ist wichtiger als Geld

Die Übersicht zeichnet ein gemischtes Bild. Während gewachsene Unternehmen (VW, klassische Rechenzentren) meist wenig leistungsfähig erscheinen, gibt es viele und beeindruckende Beispiele digitaler Fähigkeiten bei kleinen Unternehmen und Startups (Contentful, DeepL, Innus).

Die Landkarte der deutschen, digitalen Leistungsfähigkeit

Natürlich ist diese Analyse nicht repräsentativ. Es gibt sicher digital außerordentlich fähige Großunternehmen sowie IT-schwache Startups. Aber eines zeigen diese Beispiele sicher: Für digitale Leistungsfähigkeit bedarf es keine großen, monetären Ressourcen. Instagram erreichte mit 8 Mitarbeitenden 30 Millionen Nutzer in etwa 18 Monaten. Innus entwickelte eine Bafin-zertifizierte Banking-Software mit 7 Mitarbeitenden in 2 Jahren.

Die beiden Kolosse der alten Digitalwirtschaft, T-Systems und SAP, benötigten dagegen für Entwicklung und Betrieb Corona-Warn-App 220 Millionen Euro. Finnland schaffte dies für 6 Millionen.

Was ist nun der Schlüssel für digitale Leistungsfähigkeit? Jan Ahrend hat es im Interview hier auf cloud ahead wie folgt formuliert:

  • Wille und Vision: Eine Organisation muss wissen, was sie erreichen möchte, und sie muss es auch erreichen wollen.
  • Kundenfokus: Leistungsfähigkeit entscheidet sich im Auge der KundInnen. Nur wer deren Bedarfe im Blick behält, wird auch als leistungsfähig wahrgenommen werden.
  • Automatisierung & Flow: Moderne Software-Wertschöpfung verläuft weitgehend automatisiert, vom Deployment über Test bis zum Betrieb und der Skalierung der Infrastruktur.
  • Experimente statt Planung: Software folgt in der Erstellung anderen Paradigmen als Hardware. Software wird in kurzen Zyklen weiterentwickelt, und in jedem Zyklus wird das Kundenfeedback wieder neu berücksichtigt.
Software Entwicklung basiert auf dem Paradigma der Nicht-Planbarkeit

Die gute Nachricht also: Organisationen, deren Management und Experten zum Umdenken bereit sind und sich auf die Best Practices der Software-Branche einlassen, werden sehr schnell sehr leistungsfähig.

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