Kunden und Partner von VMware leiden. Der Grund? Broadcom hat für 69 Milliarden US-Dollar VMware gekauft und muss das Geld wieder einspielen. Was ist die Strategie? Portfolio vereinfachen, Partner reduzieren und Kunden auf vom Kauflizenzen ins Mietmodell zwingen. Kurz zusammengefasst: VMware erhöht die Preise. Werden die Kunden dies mitmachen oder in Scharen auf Alternativen migrieren? Ich glaube sie werden bleiben, murren und einfach mehr bezahlen.
VMware war ein Vorreiter der Cloud
Bevor ich meine These der nibelungentreuen VMware-Kunden erkläre, benötigt es eines kurzen Ausflugs in die Geschichte des Unternehmens.
VMware wurde im Jahr 1998 mit dem Ziel gegründet, ein großes Problem von Rechenzentren zu lösen: Die Unterauslastung der Server-Hardware. Bis dahin war es üblich, dass Unternehmen in physikalische Rechenkapazität investierten, die dem maximalen Bedarf einer Anwendung entsprach.
Für beide Applikationen wurde Hardware dediziert angeschafft und jeweils im Rechenzentrum betrieben. Nun kam VMware auf die geniale Idee, die Server zu virtualisieren. Aus einer „realen Maschine“ wurde eine „virtuelle Maschine“, eine „VM“. Daher auch der Name VMware.
Rechenzentrumsbetreiber konnten nun deutlich mehr Applikationen auf der gleichen Hardware betreiben. Auch die Nutzer-Experience für IT-Admins vereinfachte sich. Sie mussten nicht mehr ins Rechenzentrum gehen, um ihren Kunden Rechenleistung zur Verfügung stellen. Alles nötige ließ sich in der grafischen Nutzungsoberfläche von VMware erledigen.
IT-LeiterInnen und FinanzdirektorInnen waren begeistert. Gegen eine kleine Lizenzgebühr für Software konnten sie auf Millioneninvestitionen für Hardware verzichten.
Dann kam Jeff
Im Jahr 2002 dann, so die Geschichte, proklamierte Jeff Bezos sein API-Manifest. Damit forderte er sein IT-Team bei Amazon auf, von nun an alle Services des Unternehmens den internen EntwicklerInnen per Programmierschnittstelle (API) anzubieten. Jeder der sich dessen widersetze „will be fired.“
Was genau war daran so genial? Ein Service, der über eine solche API nutzbar ist, kann vollautomatisch bestellt, geliefert und abgerechnet werden – binnen Sekunden. Alle Software-Entwickelnden von Amazon (mit entsprechenden Rechten) konnten, ohne auf KollegInnen der IT-Infrastruktur zu warten, IT-Ressourcen nutzen. Jeff Bezos legte damit den Grundstein für AWS, denn: Wenn Software-EntwicklerInnen von allen Amazon-Divisionen per Schnittstelle IT-Leistungen bestellen können, dann ist es nur ein kleiner Schritt, diese Schnittstelle der ganzen Welt zu öffnen. Genau dies tat Amazon dann 2006 und gründete AWS, die erste echte Cloud.
Bei VMware hingegen bedurfte es immer noch des Knopfdrucks eines der System-AdministratorInnen, um den Server auszuliefern. Um diese aber nicht zu überlasten (und aus vielen anderen Gründen) bildete sich eine aufwändige Organisation. Mit Bestellprozessen, Abrechnungsprozessen, Koordinationsmeetings, Formularen, Gremien, Projektleitenden und Finanz-ControllerInnen.
Neben dem Vorteil der menschenfreien Bestellung und Lieferung von Servern hatte AWS noch ein weiteres Argument: Software-Entwickelnde konnten nun auch Netzwerke per API konfigurieren, Speicher bestellen und viele weitere IT-Services in Anspruch nehmen.
AWS digitalisierte also die ganze IT-Abteilung. Anstatt „Server-Ämter“ mit monatelangen Wartezeiten für einfachste Handgriffe, können Fachabteilungen nun große, zuverlässige, schnelle Maschinen nutzen, um ihre IT-Probleme zu lösen. Die Public Cloud begann ihren Siegeszug und ermöglichte die heute selbstverständliche Agilität der software-getriebenen Welt der Digitalisierung.
VMware tat nur so viel wie nötig
AWS und die Public Cloud disruptierten somit die VMware-basierten Server-Ämter. Was nun folgte, entspricht dem Playbook der Digitalisierung, wie es Geoffrey Moore (in Zone-to-win) und Clayton Christensen beschrieben haben. VMware verdiente zu gut am Status-Quo, als dass es ein Interesse gehabt hätte, die Server-Ämter in professionelle IT-Fabriken umzuwandeln (Innovator´s Dilemma). Die Kalifornier taten nur genau so viel (Bsp: Kanzu, VMC), dass sich nicht unnötige viele Kunden verändern mussten. Lieber verlegte sich VMware darauf, bei seinen Kunden Zweifel an Sicherheit, Datenschutz, Kostenattraktivität und Datensouveränität der Public Cloud zu wecken (siehe hierzu den Propagandafilm „Clouded“).
Die Strategie ging auf: VMware wuchs seit 2013 durchschnittlich 10% pro Jahr. Das ist zwar nichts im Vergleich zum Wachstum von AWS (durchschnittlich 70%), aber immerhin mussten weder VMware noch seine Kunden eine mühevolle, eigene Transformation durchlaufen.
VMware-Kunden sind digitale Bummler
Bei jeder neuen Technologie stellt sich für eine Organisation die Frage: Investiere ich in Hardware, Software und internen Wandel, um die Technologie zu adoptieren oder warte ich erst einmal ab. Die Technologie-Adoptionskurve zeigt den typischen Verlauf solcher Entscheidungen.
Als die Technologie der vollständig digitalisierten IT-Infrastruktur (Cloud) aufkam, stand praktisch jedes Unternehmen vor der Wahl:
- Möchte ich digital stark wachsen und schnell neue Features entwickeln? Dann nehme ich die Public Cloud (Bsp: Zalando, N26).
- Sind Flexibilität und Kostenvorteil in der IT-Infrastruktur wichtig für mein Kerngeschäft? Dann setze ich auf Open Source oder entwickle etwas Eigenes (Bsp: IONOS, StackIT).
- Möchte ich meine IT modernisieren und mich auf das Kerngeschäft fokussieren? Dann gehe ich auf jeden Fall weg vom Server-Amt.
Welche Unternehmen blieben dann beim Server-Amt „enabled by VMware“? Genau jene, die wenig digitalen Handlungsdruck hatten, die weder wirklich Kosten sparen noch ihren Kunden attraktive Software bieten mussten. Genau: Die digitalen Bummler.
VMware ist halt pfiffig
VMware kennt seine Kunden sehr gut. VMware weiß, wie schwierig es für klassische Unternehmen mit wenig IT-Kompetenz ist, große Technologie-Projekte durchzuführen. Die wenigen IT-ExpertInnen im Hause sind meist über Jahrzehnte hinweg in der gleichen Rolle. Eng verwachsen ist ihr interner Status mit ihrem Provider-spezifischen Wissen. Wenig ist darüber bekannt, wie Alternativen aussehen können, wie eine Welt funktioniert ohne Server-Amt. Schlimmer noch: Möchte eine Organisation die Vorteile der Cloud wirklich nutzen, müssten sich auch IT-Einkauf, IT-Controlling, Fachabteilungen und sogar die Zusammenarbeitskultur ändern.
Um Gregor Hohpes Terminologie zu nutzen: Das wahre Problem der VMware-Kunden sind Skill-Lock-in und Mental-Lock-in. Die Organisationen hindert nichts daran, sich eine bessere und wahrscheinlich sogar günstigere Alternative zu suchen, aber sie haben weder die ausreichenden Fähigkeiten noch den Druck, sich auf den schmerzvollen digitalen Wandel einzulassen.