Broadcom hat VMware übernommen für 69 Mrd. US-Dollar. Nun rätseln Kunden, Partner und Wettbewerber: was hat sich der CEO von Broadcom, Hock E. Tan, dabei gedacht? Will er seine neue Kuh nur melken, oder hat er Größeres vor? Ich glaube an Letzteres und seine Strategie könnte aufgehen …
Exzellente Ausgangsposition in einem attraktiven Markt
Der Markt, in dem sich VMWare bewegt, ist traumhaft. Die Gesamtumsätze von Rechenzentren liegen global bei etwa 300 Milliarden US$ und wachsen um mehr als 10% pro Jahr. Der Markt für Cloud Computing und Hosting liegt sogar bei etwa 500 Milliarden US$. Je nach Analyst wachsen beide Märkte bis 2030 zwischen 17% und 22% pro Jahr. Früher waren die Treiber Cloud-Transformation und Digitalisierung, jetzt ist es die künstliche Intelligenz, die immer mehr Rechenleistung fordert.
VMware hat eine perfekte Ausgangsposition in diesem Markt. Das Unternehmen ist Marktführer in der Servervirtualisierung, dem Herzstück jedes Rechenzentrums. Weltweit hält es darin einen Marktanteil von ~50%, in Deutschland sind es sogar 75%. VMware ist somit in etwa jedem zweiten Rechenzentrum der Welt in einer Schlüsselposition vertreten und wäre eigentlich der Hauptprofiteur der kommenden Data-Center-Investitionen rund um künstliche Intelligenz.
Bei VMware blieben die passiven Kunden
Warum nutze ich den Konjunktiv? Letzte Woche habe ich beschrieben, wie VMware von seiner veränderungsunwilligen Kundenschar profitiert. Die kurze Zusammenfassung lautet: VMware hat in den 2000er-Jahren mit seiner Virtualisierungs-Software den Markt der Rechenzentren erobert. Mit den ersten Cloud-artigen Features haben VMware-Kunden enorme Hardware-Investitionen eingespart. Allerdings entstanden um den modernen Software-Kern herum Organisationen mit komplizierten, langsamen und fehleranfälligen Bestell-, Liefer- und Abrechnungsprozessen. Diese Schwerfälligkeit in der Leistungserbringung trieb dann Unternehmen, die unter starkem Wachstums- und Digitalisierungsdruck standen, in den 2010er-Jahren in die Public Cloud.
Die folgende Grafik unterstreicht die Analyse: VMware ist zwar stark gewachsen, aber deutlich geringer als der Gesamtmarkt der Cloud. Unternehmerisch eigentlich ein Versagen.
Bei VMware verblieben sind also seit den 2020ern hauptsächlich reaktive, passive Kunden. Sie scheuen die Unwägbarkeiten einer Cloud-Transformation derart, dass sie es vorziehen, bei ihrer schwerfälligen IT-Infrastruktur zu bleiben. Kurzfristig und operativ ist dies für VMware ein großer Vorteil: Die Public Cloud ist besser und innovativer, Open Source ist kostengünstiger und flexibler, aber VMware-Kunden bleiben wo sie sind, auch bei Preiserhöhungen. Betriebswirte würden sagen: VMware hat eine unelastische Nachfrage.
Eine Strategie wie von einem deutschen CFO
Die Kalifornier wuchsen beständig, sicher und mit hohem Profit. Der Traum jedes deutschen CFOs. Strategisch aber handelt es sich wieder um ein Management-Versagen, denn: Die eigentlichen Chancen des Marktes ließ VMware liegen. Auch dies lässt sich gut mit einer Grafik belegen:
VMware ist in den letzten 10 Jahren nur um ~10% pro Jahr gewachsen, AWS dagegen im gleichen Zeitraum um ~70%. VMware hat praktisch den ganzen Cloud-Native-Markt an AWS, Microsoft und Google verloren. Unternehmen, die im Jahr 2010 kaum eine Rolle im Rechenzentrums-Markt spielten. VMware wurde zum „King of Rehost“ – der König jener, für die Cloud nur eine neue Verpackung dessen war, was sie schon immer getan haben.
Das Risiko von VMware bleibt seitdem, mit den eigenen Kunden zu stagnieren und neben dem Cloud-Native-Markt auch noch die AI-Revolution zu verpassen.
Broadcom macht eine Zwangsmodernisierung
Wenn also die Ausgangsposition gut ist, Broadcom aber unter den gegebenen Rahmenbedingungen die Chancen nicht nutzen kann, muss Broadcom halt die Rahmenbedingungen ändern. Genau das scheint jetzt die Strategie des Unternehmens. VMware-Kunden und -Partner haben durch die Digitalisierung nicht genug Handlungsdruck erhalten, jetzt bekommen sie ihn halt durch VMware. Drei Maßnahmen sind hierfür der Schlüssel:
- Kunden werden die Preise erhöht.
- Allen Partnern wird gekündigt.
- Nur sehr wenige ausgewählte Partner erhalten vergünstigte Konditionen.
Wie verändern sich die Rahmenbedingungen dadurch? Alle Akteure müssen gleichzeitig handeln. Große Partner verdrängen die kleineren. Für Kunden wird Eigenbetrieb unattraktiver, sie gehen zu einem der verbleibenden Groß-Partner, die wiederum einen Wachstumsschub erhalten. Auf diese Weise können sie in ihr Leistungsportfolio und die User Experience investieren und beginnen, den Hyperscalern Konkurrenz zu machen.
Broadcom Sovereign Clouds
Wie aber könnte man eine Handvoll lokaler, leistungsfähiger, modernisierter Rechenzentren mit europäischem Betreiber nennen? Richtig: Souveräne Clouds.
Broadcoms Partner sind lokale Akteure. Viele von ihnen sind in europäischer Hand (T-Systems, ATOS, Arvato Systems, Bechtle, …) und beliebt bei ihren großen, traditionellen Kunden. Was Microsoft, AWS und Google noch an lokalem Vertrauen aufbauen müssen, bringen VMware und die klassischen europäischen IT-Dienstleister schon seit Jahrzehnten mit.
Ich glaube die Strategie von Broadcom wird aufgehen. Im Jahr 2024 wird sich ein bisschen beschwert, es werden Alternativen sondiert, Wettbewerber eingeladen. Aber dann wird die eigene IT-Abteilung gefragt (immer schon VMware-Fans), die Migration kalkuliert (teuer, aufwendig und risikoreich), der Nutzen abgeschätzt (unklar) und es gibt eine Migration zu einem der großen VMware-Partner. Dort gibt es dann schon moderne Services für Kubernetes (Tanzu) und künstliche Intelligenz (AI Labs), und eine echte Transformation konnte wieder einmal vermieden werden.
Und was bleibt für uns Zuschauer? Broadcom-Aktien kaufen.