Was unternehmen Deutschland und die EU um digital souveräner zu werden?

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14.08.2022
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4 min Lesedauer
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Digitale Souveränität hat 8 Ebenen

Europas Wissenschaftler haben herausgefunden: Digitale Souveränität spielt sich auf 8 Ebenen ab. Alles beginnt mit den Rohmaterialien und Vorprodukten, etwa Silizium oder seltene Erden. Diese werden zu Komponenten, wie etwa Chips und Datenspeicher, weiterverarbeitet. Dann entsteht die Kommunikationsinfrastruktur, es werden Netzwerkkabel verlegt und mit Rechenzentren verbunden. Chips, Netzwerk und Speicher werden als Cloud-Infrastruktur angeboten - auch Infrastructure-as-a-Service (IaaS) genannt. Cloud-Anbieter wie AWS oder Azure bieten zusätzlich Platform-as-a-Services (PaaS) an, wie etwa einfach nutzbare Datenbanken, Sicherheits-Services oder Machine-Learning-Angebote. Unternehmen wie Siemens oder VW nutzzur Erstellung eigener Software-Technologien. Arbeiten diese Unternehmen dort zusammen - etwa entlang der Auto-Wertschöpfungskette - können daraus europäische Datenräume entstehen. Je nach Verhalten der Akteure, werden diese Daten gemäß europäischer Rechte und Werte genutzt.

Die 8 Ebenen der digitalen Souveränität nach Acatech
Digitale Souveränität spielt sich auf 8 Ebenen ab: Rechte&Werte, Datenräume, Software-Technologien, PaaS, IaaS, Kommunikationsarchitektur, Komponenten und Rohmaterialien

Auf jeder Ebene bewegt sich Europa innerhalb des Spektrums der digitalen Souveränität (Quelle: Bitkom) irgendwo zwischen Abhängigkeit und Autarkie.

“Global integriert” beziehungsweise “ziemlich abhängig”

Auf der Ebene der Rohstoffe ist jedes Element einzeln zu betrachten, die Kommission hat hierzu eine detaillierte Studie erstellt. Besonders im Gespräch ist die Abhängigkeit der ganzen Welt von sehr wenigen Chip-Produzenten in Südost-Asien. Die großen Hersteller von Kommunikationsinfrastruktur stammen aus den USA, ebenso die größten Betreiber internationaler Netzwerke. Die großen Cloud-Anbieter für IaaS und PaaS sowie für Software-Technologien sind Amazon, Microsoft und Google, alles US-amerikanische Unternehmen. Europäische Datenräume - zumindestens im Sinne der International Data Spaces des Fraunhofer Instituts - existieren noch kaum. Die Anwendung europäischer Rechte und Werte wird durch vereinzelte Gesetzesinitiativen geregelt (GDPR, Gesetze gegen Hasskriminalität).

Positiv formuliert lässt sich konstatieren: Europa ist global exzellent integriert und gern gesehener Kunde ausländischer Digital-Komponenten und -Technologien. Negativ formuliert: Wir sind stark abhängig.

Es gab nie ein Erkenntnisproblem

Die Bitkom als Bundesverband der deutschen Digitalindustrie bemängelt schon seit gut einem Jahrzehnt die mangelnde digitale Souveränität Europas. In einer Metastudie zum Thema haben Mareike Seifried und Irene Bertschek 19 Definitionen zur digitalen Souveränität von einer Vielzahl von Autoren gefunden (Konrad-Adenauer-Stiftung, Verband der Elektrotechnik, Bertelsmann Stiftung, …).

Das Problem ist also klar erkannt, in der Breite beschrieben und in der Tiefe analysiert. Was aber hat sich geändert?

7 große Initiativen rollen an

Es gibt gute Nachrichten. Nach der erfolgreichen Verabschiedung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) im Jahre 2012 passierte nicht viel. Aber seit etwa 2020 hat vor allem die EU-Kommission ein Feuerwerk der digitalen Souveränität gestartet:

  1. 2022 wurde der Digital Markets Act (DMA) verabschiedet. Er dient vor allem der Regulierung der Marktmacht sogenannter “Gatekeeper”. Dazu gehören insbesondere die großen internationalen Plattformen Apple, Google und Meta, welche aufgrund ihrer Schlüsselstellung in einzelnen Märkten den Wettbewerb besonders dominieren.
  2. Ebenfalls 2022 wurde der Digital Services Act (DSA) verabschiedet. Dieser dient der verbesserten Kontrolle von Algorithmen der großen Anbieter (Meta, Google, TikTok). Sowohl DSA als auch DMA setzen bei der Durchsetzung europäischer Rechte und Werte im digitalen Raum an.
  3. Seit etwa 2020 sind Vertreter der Bundesregierung zunehmend aktiv in der Suche nach souveränen Cloud-Angeboten in Europa. Es gibt Verhandlungen mit Google und Microsoft zum Aufbau von Treuhandlösungen in Deutschland sowie den Ruf nach einem nationalen Hyperscaler als ebenbürtige Alternative dazu (Quelle). Dies würde die Situation bei Infrastructure-as-Service sowie bei PaaS und möglicherweise auch der Kommunikationsinfrastruktur verbessern.
  4. Im Jahr 2019 engagierte sich der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier stark für eine europäische Cloud unter dem Namen GaiaX. Das Modell war kompliziert, aktuell scheint es im Wesentlichen auf die Idee der europäischen Datenräume nach dem Vorbild der International Data Spaces des Fraunhofer-Instituts hinauszulaufen.
  5. Insbesondere der Finanzminister der neuen Regierung, Christian Lindner, versucht sich daran, die Finanzierung der deutschen Startups mit Wagnis-Kapital zu verbessern. Dies hätte insbesondere Wirkung auf die Entstehung europäischer Angebote bei Platform-as-a-Service sowie für Software-Technologien.
  6. Die EU wiederum versucht mit dem European Chips Act den Aufbau einer europäischen Chip-Industrie zu fördern. Im Erfolgsfalle würde dies die Versorgung mit Schlüssel-Komponenten der Digitalisierung sicherstellen.
  7. Ein “European Rare Resources Act” ist noch nicht bekannt. Eine Vielzahl von Aktivitäten der EU-Kommission in dieser Richtung aber lässt vermuten, dass mit weiteren Aktivitäten zu rechnen ist.
Deutschland und die EU arbeiten auf allen 8 Ebenen der digitalen Souveränität
Deutschland und die EU arbeiten auf allen 8 Ebenen der digitalen Souveränität

Ende gut, alles gut?

Souveränitätspolitik benötigt einen langen Atem. China hat drei Jahrzehnte benötigt, um den technologischen Vorsprung des Westens aufzuholen. Wenn Europa seine Abhängigkeit von amerikanischen Plattformen, asiatischen Chips oder chinesischen Komponenten lösen möchte, bedarf es des Aufbaus von großen, global wettbewerbsfähigen Unternehmen - und somit Jahre wenn nicht auch Jahrzehnte.

Wir können hoffen, dass EU-Kommission und nationale Regierungen nach einer schier unendlich langen Erkenntnis-Phase die begonnenen Vorhaben hartnäckig und intelligent umsetzen. Gelingt dies, kann Europa wieder zu einem relevanten Akteur im globalen, digitalen Raum werden.

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