Wie kann uns Trump ärgern?

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11.03.2025
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8 min Lesedauer
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Ein wichtiges Argument von Cloud-Skeptikern ist, dass der Betrieb der Hyperscalern in der Hand von US-Unternehmen liegt. Wenn uns ein erratischer US-Präsident die Clouds abstellt, sind wir geliefert. Das Argument ist valide, schließlich gibt es vergleichbare Fälle in der Geschichte der Cloud. Beispielsweise die Adobe Cloud in Venezuela und Github in Russland.

Warum aber gehen trotzdem so viele Unternehmen in die Cloud? Wieso treibt sogar die neue Chefin des BSI den Cloud-Move unbeirrt voran? Wir haben dazu einmal einen Experten befragt, der schon seit Jugendtagen mit Clouds unterschiedlichster Couleur jongliert.

cloudahead Max Hille

Zur Person

Maximilian Hille ist Head of Advisory bei der Cloudflight Germany GmbH, einem führenden Full-Service-Provider für industrielle digitale Transformation in Europa. Dort leitet er seit Jahren die Research- und Beratungsaktivitäten zu den Themen Cloud-Architektur, Cloud-Native Technologies, Managed Cloud Services und mehr. Seit über 10 Jahren hat er sich der Verbreitung Cloud-nativer Architekturen und Vorgehensweisen im deutschen Mittelstand verschrieben und gehört zu den Veteranen der europäischen Cloud Native-Bewegung.

Gregor: Max, was ist dran an dem Argument, dass Donald Trump uns den Zugang zu den Hyperscalern abstellen könnte?

Max: Donald Trump hat nicht wirklich die Absicht uns den Zugang zu Hyperscalern oder sonstigen Diensten abzustellen. Aber er könnte es tun und nutzt es zu seinem politischen Vorteil.

Ich halte es für wahrscheinlich, dass ihm die europäische Abhängigkeit von US-Technologieanbietern und insbesondere Hyperscalern sehr bewusst ist und dass er diese für seinen eigenen bzw. Amerikas Vorteil nutzen wird. Asiatische Software-Technologien spielen in Europa keine Rolle und werden es auch langfristig kaum tun. Europäische Alternativen sind zunehmend besser, aber wirtschaftlich ist es keine Option von heute auf morgen die US-Technologien zu ersetzen. Nicht einmal ansatzweise.

Somit hat Donald Trump eine starke Verhandlungsposition, um sein “America First” durchzusetzen. Er agiert aus meiner Sicht nicht wirklich weitsichtig oder kooperativ, sondern nur auf den unmittelbaren Vorteil bedacht. Wenn er eine Bedrohung ausgemacht hat, wenn er die nationale Sicherheit bedroht sieht oder eine wirtschaftliche Ungleichbehandlung unterstellt, dann könnte er seine Macht im Cloud-Geschäft sehr wohl einsetzen.

In Unternehmen interessiert niemanden, ob Trump die Cloud abschaltet.

Gregor: Ansgar Baums meinte in einem Interview bei uns, dieses Szenario würde in Unternehmen niemanden interessieren. Wie siehst du das?

Max: Wenn man sich die letzten Jahre ansieht, bei denen die deutschen Unternehmen sich endlich konsequenter in Richtung der Hyperscaler bewegt haben, ist das durchaus eine zulässige Schlussfolgerung. Auch wenn ich aktuell in Gesprächen mit Unternehmen bin, sind Hyperscaler noch immer das Mittel der Wahl für ihre digitale Infrastruktur und neue, geschäftskritische Applikationen.

Auch ich habe die Entwicklung zur Public Cloud aktiv im Rahmen meiner Möglichkeiten gefördert und gefordert. Und ich halte es ebenso weiterhin für richtig. Trotzdem erstaunt es mich durchaus, dass der Widerstand, insbesondere aufgrund der jüngsten Ankündigungen und Diskussionen aus den USA, nicht lauter wird.

Ich sehe hier insgesamt eine Parallele zur deutschen Abhängigkeit von russischem Gas in der Zeit vor dem Ukraine-Krieg: Sollte der Super-Gau eintreten, betrifft es kein Unternehmen allein, niemand aus den Unternehmen trifft persönlich die Schuld. Wenn Trump also die US-Clouds abstellt, bedeutet das also weder einen Wettbewerbsnachteil für die Unternehmen noch ein Compliance-Problem für die Führung. Die danach auftretende tektonische Verschiebung der Weltwirtschaftsverhältnisse und der Ausbruch des (nicht nur) digitalen Chaos allerdings schon.

Da ehrlicherweise die wahren europäischen Alternativen fehlen, die mit Leistungstiefe und Leistungsbreite der Hyperscaler vergleichbar sind, bleibt die Flucht aus den US-Clouds eine theoretische Diskussion.

Unternehmen sollten durchspielen, was eine Abkehr für sie bedeuten würde.

Gregor: Also alle stecken den Kopf in den Sand. Wir müssten doch jetzt die Hyperscaler, im Interesse unserer eigenen Unabhängigkeit, boykottieren!?

Max: Ich glaube weder, dass das eine, noch das andere richtig wäre. Warum? Die USA besitzen ein Arsenal digitaler Waffen, gegen das wir auch bei einer vollständigen Rückmigration in private Infrastrukturen kaum wehren können.

Es ist gut, dass es jetzt eine Gegenbewegung gibt, dass wir als Europa es zumindest versuchen Alternativen zu schaffen. Aber eine realistische “Gegenwehr” kann zurzeit nur darin bestehen einen digitalen Handelskrieg zu verhindern.

Unternehmen sollten daher zumindest durchspielen, was eine Abkehr von einem oder allen Hyperscalern für sie bedeuten würde und welche digitalen Kronjuwelen sie auf welche Weise rechtzeitig in Sicherheit bringen können.

Ob das dann ein Gedankenspiel bleibt oder tatsächlich Backup-Strategien und Fallback-Infrastrukturen aufgebaut werden, muss jeder CIO für sich selbst entscheiden.

Aber wir können festhalten, wenn es hart auf hart kommt, dann sind wir der Macht der USA nach heutigem Stand ausgeliefert.

Gregor: Das musst du ausführen!

Max: Die USA dominieren die digitale Welt, vor allem die Software, wie keine andere. Sie können uns mit 99,5% Marktanteil von Android und iOS theoretisch alle Smartphones mit je einem Update abschalten. Und dann wird nicht nur Teenagern langweilig, damit wäre auch jegliche Kommunikation über mobile Endgeräte tot. Das würde uns zwar als Menschen entschleunigen und unserer mentalen und politischen Gesundheit gut tun, wirtschaftlich würde es uns aber hart treffen.

Und genau solche Updates mit Kill-Switches könnten die USA, wollten sie uns wirklich erpressen, auch an Windows, VMware, Cisco und Co. senden. Damit wären auch unsere Netzwerke, Server und Computer tot. Technisch ist das in jedem Fall machbar. Wäre es politisch denkbar? Wir sehen ja täglich, wie sich die Hauptentscheider dieser Tech-Unternehmen – möglicherweise auch aus der Not heraus – hinter dem Trump-Kurs versammeln.

Eine vergeichbare Open-Source-Community gibt es in Europa nicht.

Gregor: Ah … ok. Müssen wir also jetzt auf jegliche US-Software verzichten und auf Open-Source migrieren?

Max: Grundsätzlich ist Open-Source immer eine gute Alternative, auch im kommerziellen bzw. professionellen Einsatz. Die Beweggründe sollten aber nicht die Ängste vor Donald Trump und den USA sein, sondern andere.

Für das geschilderte Problem eines Handelskriegs würde es nicht einmal 100%ig helfen. Denn auch viele Stiftungen und Kontributoren, welche die Open-Source-Software warten, kommen aus den USA. Wenngleich sich diese professionalisiert haben und als politisch zuverlässig gelten, könnten US-Geheimdienste auch diese infiltrieren. Agenten könnten Open-Source-Software beispielsweise gezielt mit Wanzen oder Bugs versehen. Ob Europa dann ad-hoc eine Open-Source-Community mit ausreichender Umsetzungsstärke aus dem Boden stampft, um diese Schäden zu vollständig und schnell zu beseitigen, würde ich bezweifeln. Ich erinnere daran: Die Sovereign Tech Agency konnte sich in ihren 2-3 Jahren bestehen um lediglich 40 solcher Projekte kümmern. Es gibt einfach zu viele.

Gregor: Bleibt noch EU-Closed-Source?

Max: Das würde bedeuten, dass wir einen kompletten, eigenen Digitalstack nachbauen müssten. Wir müssten Milliarden investieren, nur um auf das digitale Leistungsniveau zurückzukehren, auf dem wir heute ja schon sind. Das ist weder wirtschaftlich, noch zeitlich zu schaffen. Würden wir es blauäugig und halbherzig beginnen, würde es uns zurück in das analoge Zeitalter versetzen.

Mit diesem digitalen Protektionismus würden wir den Freihandel ad absurdum führen, also jenes Modell, das wir jahrelang propagiert haben. Ich habe tatsächlich manchmal den Eindruck, dass einzelne Hardliner sich genau das wünschen, aber die Konsequenzen eines solchen Handelns nicht zu Ende denken.

Würde uns ein solcher Protektionismus dennoch gelingen, hätten wir in Europa eine IT-Infrastruktur, die deutlich weniger skaliert, als heute. Die gleichen Fixkosten würden auf weniger Kunden verteilt. Die Preise für alle würden steigen, für die meisten Unternehmen in der EU wäre das sehr unattraktiv. Da wären die letzten Preiserhöhungen von Microsoft und VMware nichts dagegen. Denn auch die Cloud folgt Gesetzen von Physik und Ökonomie. Irgendwoher muss die Hardware kommen, irgendwer muss die Services betreiben. Für die lokalen Digitalunternehmen wäre das der neue Goldrausch. Aber wirklich wünschen sollte sich das niemand.

Wir unterschätzen, was Unternehmen heute schon tun können.

Gregor: Also egal wie es läuft: Trump hat uns digital in der Hand?

Max: Ja. Das ist aber nichts Neues und hat auch nichts mit der vergangenen Präsidentschaftswahl zu tun. Der Unterschied ist lediglich, dass nun eine Person die USA regiert, der wir es zutrauen dieses Machtgefälle zu ihrem Vorteil zu nutzen. Ob sie diese Macht dann wirklich nutzt und wie absolut sie dann einen solchen Vorstoß umsetzen kann, das wissen wir nicht. Vermutlich wird es auch in den US-Technologieriesen viele demokratische und weltoffene Personen geben, die hier entschlossen Gegenwehr leisten würden.

Wir haben es aber dennoch schlichtweg verpasst rechtzeitig den Mut und das Risiko aufzubringen ähnlich intensiv zu investieren, um ähnlich attraktive Lösungen anzubieten. Und wir haben es versäumt die US-Technologien rechtzeitig nachzubauen. Gut funktionierende Geschäfte zu kopieren ist in Asien ein sehr angesehenes Modell. Hierzulande haben wir noch nicht einmal das geschafft.

Aber wie bereits zuvor betont reden wir über theoretische Szenarien. Denn in der Praxis sorgen die US-Technologien täglich dafür, dass unsere Wirtschaft schnell, verlässlich und hochwertig funktionieren kann. Fast stündlich kommen neue Features hinzu.  KI, die Betriebsabläufe automatisiert, IoT-Services, welche die Wartung von Produktionsmaschinen günstiger und sicherer machen und Services, welche Menschen einfacher zusammenarbeiten lassen.

Das klingt jetzt alles hoffnungslos. Aber wir unterschätzen, was Unternehmen heute schon tun können. Wenn sie die Weltpolitik in ihrem Risiko-Management berücksichtigen, den Blick etwas justieren und sich etwas mehr Zeit dafür nehmen ihren Technologiestack differenziert zu gestalten, dann können ihnen auch die Schlimmsten Szenarien kaum etwas anhaben. Es kostet halt etwas Zeit und Budget, ohne dass es sich positiv im nächsten Quartalsbericht niederschlägt.

Am Ende werden die USA und Europa in Konkurrenz ko-existieren und ein gewisses Restrisiko werden wir tragen. Das ist die neue Welt.

Gregor: Hast du noch ein Wort zum Sonntag?

Max: Was Unternehmen wie Behörden wirklich hilft, ist mehr eigene IT-Kompetenz. Jeder Kunde sollte mehr können, als Cloud-Services zu provisionieren. Niemand darf sich willig den US-Technologieangeboten hingeben.  

Selbst erfahrene Dienstleister können hier nur einen differenzierten Blick beisteuern. Wenn das Unternehmen nicht selbst die strategische Steuerung seiner digitalen Unternehmensarchitektur in die Hand nimmt, dann reden wir uns nur den Mund fusselig.

Szenarien kennen, IT-Architektur strategisch danach steuern und Krisenpläne in der Schublade haben, das ist es, was wir tun sollten. Am Ende kommt es dann sowieso anders als man denkt: Corona, Suez-Kanal gesperrt, Chip-Krise und Ukraine-Krieg – ich möchte ein Unternehmen sehen, das mehr als eines dieser Krisen vorhergesehen hat. In allen Fällen geholfen hat aber eine resiliente, agile, gut funktionierende IT.

Gregor: Max, vielen Dank für Deine Zeit.

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