Im Juni 2023 kam ein bis dahin unbekanntes, schwedisches Startup aus der Deckung: Evroc möchte der erste europäische Hyperscaler werden. 13 Millionen € gab es in einer Pre-Seed-Runde von Investoren wie EQT Ventures and Norrsken VC, dazu eine Webseite und zwei zauberhafte Imagefilme.
Europa ist „gut mit alten Sachen“
In einem emotionalen Video beschreibt ein Franzose in charmantem Englisch den Stand der europäischen, digitalen Wettbewerbsfähigkeit. Europa sei ein fantastischer Ort, um wunderbare Dinge zu genießen. Alte Dinge, Musik, Literatur, Kunst. Europa ist ein Museum. Käse, Wein, je älter, desto besser. Wie aber sehe es mit unserer Zukunft aus? Dort seien wir überraschend inkompetent.
Warum? Da wird es spannend: „Because we do not have a European Cloud.” Denn Clouds kämen entweder von Unternehmen, die unsere Datenschutzgesetze nicht respektierten, oder aus alten, ineffizienten Server-Hallen.
Die Conclusio: „We cannot continue being a museum. We need our own cloud.” Eine, die auf europäischer Erde gebaut sei, auf europäischem Recht fuße, saubere, europäische Energie nutze. Eine Cloud, die unsere Zukunft so reich wie unsere Vergangenheit mache.
Der 'Le Corbusier' der Hyperscaler
Dann gibt es noch diesen gleichermaßen zauberhaften, zweiten Film. Ein nachdenklicher Mann, Ende 40, schwarz gekleidet, wandelt durch Paris, betritt sein Büro. Wunderbare Bilder, scharf, unscharf. Die Kamera gleitet über geometrische Formen, Licht fällt durch elegante Gebäude.
Der Mann zieht Parallelen. Rechenzentren seien wie Weingüter, auch sie könnten aus Stein gebaut sein. Aus Granit im Norden, aus Sand- oder Kalkstein im Süden. Sie müssten nicht auf 20 Jahre ausgelegt werden, könnten 100 Jahre überdauern. Gar 1000 Jahre seien möglich, wie etwa beim Pont Du Gard, dem römischen Aquädukt in Frankreich, denn es ginge gleichermaßen um Infrastruktur.
Es spricht Carl Fredrik Svenstedt, seines Zeichens Architekt. Kein Software-Architekt, ein echter Architekt. Einer der Dinge macht, die man anfassen kann. Svenstedt entwirft die zukünftigen Data Center Europas. Jene, die unsere Zukunft so reich machen, wie unsere Vergangenheit.
Redet bei Evroc auch jemand über IT?
Im November 2023 wurden weitere 600m€ eingesammelt in einer Mischung aus Wagniskapital, Krediten und Subventionen. Es wird ein 3500m² großes Flagship Data Center in Schweden gebaut u.a. wegen des guten Zugangs zu grünem Strom. Etwa 10% der Investitionen gehen in die Gebäude, der Rest in Beschaffung und Aufbau von IT-Infrastruktur, wie etwa die Beschaffung von 16.000 GPUs. Diese bilden die AI-Infrastruktur der Zielgruppe: Große Unternehmen und staatliche Behörden, die nicht die US-Pendants nutzen wollen oder dürfen.
In Stockholm und Sophia Antipolis (bei Nizza) gibt es zwei Entwicklungszentren, ein weiteres in London. Stellenanzeigen gibt es im Wesentlichen für Software-EntwicklerInnen und ArchitektInnen mit Infrastruktur-Spezialisierung. Hauptgründer sind Andreas Birnik und Mattias Åström, beide mit viel Tech- und US-Erfahrung. Der CTO, Philip Beevers, wurde von Google abgeworben. Dort hatte er 9 Jahre Führungsrollen beim Aufbau von Google Cloud eingenommen. Seine Themen: SRE, Serverless, CI/CD und Cloud Monitoring.
Im Juni 2023 gab es 20 Mitarbeitende, LinkedIn findet inzwischen 37. Für 2024 ist ein Pilotprojekt geplant mit ausgewählten Großkunden aus Behörden, Militär, Finanz- und Automobil-Branche. Parallel wird ein Standort gesucht für die dauerhaften Bauten. Bis 2029 möchte Evroc insgesamt 8 Rechenzentren aufbauen, insgesamt sollen etwa 3000 Mitarbeitende eingestellt werden.
Ökologisch gibt Åström das Versprechen ab, die weltweit sauberste Cloud zu errichten. Evroc möchte nur 10% der Energie eines klassischen, lokalen Rechenzentrums verbrauchen. Dies soll unter anderem erfolgen mit Hilfe eines „ökologischen Lastenausgleichs“. Daten sollen, je nach günstiger Verfügbarkeit sauberer Energie, zwischen den Standorten verschoben werden.
„We believe we can build a better cloud than AWS and Google.”
Dann wird es wirklich spannend: Evroc möchte nicht nur ökologischer und europäischer sein, sondern auch besser. Wie soll das gelingen? Åström sieht seine Vorteile in der Fokussierung auf wenige Schlüssel-Services sowie die Abwesenheit des Ballasts gewachsener IT-Strukturen. Denn wer den Hyperscalern abends beim Bier genau zuhört, der weiss: Auch AWS, GCP und Azure kämpfen mit ihren inzwischen bis zu 20 Jahre alten Legacy-Systemen im Hintergrund.
Evroc möchte also wenige IT-Services aufbauen, vermutlich IT-Infrastruktur wie Network, Storage, Compute und Container-Services. Diese aber sollen besonders nutzerfreundlich, performant und sicher sein. Vergleichbar ist die Situation vielleicht mit der Digitalisierung der baltischen Staaten. Nach der Trennung von der Sowjetunion hatten sie die Chance, ihre Staats-IT auf der grünen Wiese neu zu denken.
Wird Evroc erfolgreich sein?
Nachdem ich die Image-Filme sah, dachte ich: Oh Gott. Im ersten analysieren sie knallhart, Europa könne nur schön und alt, nur Kunst, Wein und Savoir-Vivre. Im zweiten Film dann vergleichen sie Rechenzentren mit Weingütern, überlegen, wie man sie hübsch designt und so stabil baut, dass sie 1000 Jahre halten. Ich dachte, das können die nicht ernst meinen. Denken die wirklich wie Haussmann und Schinkel, die Stadtplaner von Paris und Berlin des 19. Jahrhunderts? In einer Branche, die in immer kürzer werdenden Abständen Technologiewechsel durchmacht, die schwankt in ihren (Software-)Architektur-Paradigmen zwischen Mainframe und Client/Server, zwischen Cloud und Edge?
Aber im Hintergrund scheinen die schwedischen Gründer sehr fähig. Sie stellen die richtigen Menschen ein, experimentieren früh mit der Zielgruppe, kleckern nicht, sondern klotzen. Und ich habe verstanden: Die emotionalen Imagefilme, der Sandstein, die Geschichte dazu, das hilft in Brüssel, den Industriekommissar zu überzeugen. Überraschenderweise investieren die Schweden jetzt auch in Frankreich.
Eine kleine Wette also würde ich abschließen, auf den Erfolg von Åström und Birnik. Wettet jemand dagegen?