Selbstbestimmtheit schafft Souveränität – Die neue Wahlfreiheit der Unternehmen

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26.03.2023
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Digitalisierung und der Weg dorthin haben wahrlich viele Facetten. Unternehmen und Organisationen straucheln oft ihren eigenen Weg unter allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu finden. Durch diese Vielzahl von Optionen kommen Unternehmen oft nicht über die Theorie hinaus, da zusätzlich auch Handlungslinien, rechtliche Klarheit und die geeignete Blaupause für den Weg nach vorne fehlen.

Im Interview mit Andreas Weiss, Head of Digital Business Models beim Internetverband eco, sprechen wir darüber, wie Souveränität beziehungsweise mehr (technische) Selbstbestimmtheit auf dem Weg in die digitale Ökonomie Unternehmen und Organisationen unterstützt. Sie ist ein wichtiger Baustein, der durch den aktuellen Diskurs und auch die Arbeit von Verbänden und Allianzen gefördert wird.

Max: Welche Rolle spielen souveräne Clouds für die Digitalisierung in Europa?

Andreas: Der Begriff Souveränität in diesem Kontext ist aktuell sehr prominent belegt, aber leider viel zu wenig differenziert. Vor allem fängt das Thema bereits viel früher an. Der Kernaspekt der Digitalisierung ist es Geschäftsmodelle und Betriebsstrukturen, aber auch die Technologiewelt, wie beispielsweise die neue Generation von Data Centern, Cloud und Edge sowie innovative Lösungen um KI, Blockchain oder das Industrial IoT voranzubringen.

Das ist auch ein Kernthema bei uns im eco-Verband. Denn grundsätzlich ist die deutsche Wirtschaft sehr weit, wenn es um digital abbildbare Prozesse und Services geht. Die Daten, die als Kernasset dazu notwendig sind, sind meist vorhanden, sogar in hoher Qualität. Das heißt auch, dass dieser Datenbereich nutzbar ist. Jedoch nur dann, wenn die Unternehmen eine Zusicherung der Souveränität haben, also dass sie zu jeder Zeit Eigentümer der Daten bleiben, auch wenn sie diese teilen.

Letztlich will jedes Unternehmen singuläre Abhängigkeiten, beispielsweise von einem Hyperscaler, vermeiden. Hier reden wir über technologische Souveränität, indem Unternehmen ein Höchstmaß an Kontrolle und Interoperabilität erhalten und gleichzeitig Zugriff auf die besten Technologieangebote bekommen.

cloudahead Artikelzitat Andreas Weiss

Damit einher geht die Notwendigkeit für mehr dezentrale Verfahren, denn auch auf der Edge werden Digitalisierungslösungen immer wichtiger. Edge und Cloud sind vom technischen Aufbau durchaus ähnlich, daher verschwimmt dies auch häufig.

Schlussendlich brauche ich aber vor allem Datensouveränität, weil alle Geschäftsmodelle datenbasiert sind. Ich muss technische Abhängigkeiten reduzieren, aber beispielsweise auch sehen, wie regulierende Ansätze oder politisch begleitete Initiativen wie GAIA-X einen digitalen Vertrauensraum schaffen können.

Max: Welche digitalen Geschäftsmodelle oder –prozesse werden mit mehr Souveränität oder Kontrolle möglich?

Andreas: Schon heute sind die Einsatzszenarien beziehungsweise Workloads in den Unternehmen häufig verteilt. Souveränität als solche wird da auch schnell zur Interpretationssache. Für mich ist es vor allem Wahlfreiheit und die Prävention vor einem Vendor-Lock-In.

Eine zentrale Komponente dabei ist Interoperabilität. Wenn es am Markt einen überlegenen Service gibt, dann präferiere ich den. Dennoch brauche ich einen Plan B, falls sich meine Präferenzen oder die Strategie des Anbieters ändern.

Souveränität und Kontrolle kann aber auch über offene und einheitliche Governance-Standards erreicht werden. Nehmen wir dazu Catena-X, einem Zusammenschluss aus der Automobilwirtschaft. Eine so kompetitive Branche zusammenzubringen, ist nicht einfach. Dennoch stehen alle vor Herausforderungen, die nur kooperativ gelöst werden können. Dazu gehört das Lieferkettenschutzgesetz, CO2-Footprint-Monitoring oder auch die gesamte Resilienz der Lieferketten und –netzwerke. Das haben wir erst kürzlich durch den Vorfall im Suez-Kanal erlebt. Ein fehlender Chip im Wert von 0,50€ sorgt dafür, dass ein Fahrzeug für 100.000€ plötzlich nicht mehr ausgeliefert werden kann.

Um arbeitsfähig zu bleiben, brauchen die Unternehmen Daten. Sie müssen geschätzt sechs- bis zehntausend Lieferanten anbinden, Incentives aufbauen und Kooperationsverfahren sicherstellen. Das ist ein echter Paradigmenwechsel und Catena-X geht in den nächsten Wochen live – das ist ein Wahnsinnsergebnis.

Max: Wie geht es mit Catena-X dann weiter?

Andreas: Catena-X ist auf Skalierbarkeit ausgelegt. Die Initative startet jetzt mit der produktiven Phase und plant weitere Ausbaustufen. Erste Daten und Lieferanten werden angeschlossen, das sind jetzt eher ein paar wenige, später einmal tausende. Durch diesen riesigen Bedarf ist Standardisierung ein Muss, sonst wird das nicht funktionieren können. Denn der OEM oder Zulieferer sendet die gleichen, wenn nicht gar dieselben Daten an BMW und auch an VW. Da muss so viel zusammenspielen, dass auch der Staat die Anlaufhilfe gibt. Am Ende ist es aber natürlich ein Wirtschaftsprojekt.

cloudahead Artikelzitat Andreas Weiss

Von solchen Beispielen können wir viel lernen. Die Forschergilde kann hier durchaus auch einmal einen Schritt zur Seite gehen, denn alles, was mit GAIA-X vorangetrieben wird, hat immer einen Bezug zu Industrial Deployment.

Deswegen wird eine neue Ausbaustufe auch Manufacturing-X sein, also ein Kooperationsnetzwerk von Maschinen. Verbände wie der VDMA, ZVEI und Co. sind bereits an Bord und unterstützen das Management der Shopfloors, was bislang fast nur On-Premises ging, auch in die Cloud zu bringen.

Vorreiter solcher Programme sind beispielsweise der Schraubenhersteller Würth, der schon sehr erfolgreich Predictive Maintenance beim Einsatz der eigenen Geräte macht. Bald kommen mehr Unternehmen dorthin und es erhöhen sich für alle die Chancen erheblich, da reden wir wirklich von harten betriebswirtschaftlichen Faktoren.

Max: Das heißt für mich auch, dass es weder an den Use Cases noch an den technischen Umsetzungsmöglichkeiten mangelt.

Andreas: Das stimmt auf gewisse Weise. Solche Szenarien lassen sich endlos weiterführen. Sowohl in der eigenen Skalierung als auch durch Adaption in anderen Anwendungsbeispielen.

Viele Unternehmen haben mittlerweile verstanden, dass sie große Chancen in greifbarer Nähe haben, aber vermutlich nicht im Stande sind diese wirtschaftlich und inhaltlich vollständig mit eigenen Bordmitteln zu heben.

Ein Beispiel ist insgesamt auch der Shopfloor – ein hoch-sensitiver Bereich. Es geht um geringe Latenzen, die fast nur On-Premises bzw. an der Edge erreicht werden können. Da stößt die Physik in der Cloud an ihre Grenzen. Aber in diesem Regelkreis brauche ich zunehmend bessere KI-Frameworks und die bekomme ich am besten as-a-Service.

Mit dem Schulterschluss der Use Cases, einem industriellen Zusammenschluss und der gezielten Nutzung von Cloud Native Frameworks können diese auch umsetzbar werden und verbleiben keine schöne Theorie.

Max: Wie gelingt die Kombination aus gemeinsam genutzten Ressourcen und der Abschottung des eigenen Unternehmens nach außen?

Andreas: Das Zauberwort heißt hier Interoperabilität. Denn natürlich werden Unternehmen ihre Identitäten – und damit meine ich nur Personen, sondern auch Anwendungen und Maschinen, selbst verwalten. Diese müssen dennoch in dezentralen Systemen zuordnungsfähig sein und weiterhin für sich stehen. Gegenbeispiele in der Gesundheit, wo versucht wird alles zu zentralisieren, scheitern schon dort.

Jedes Unternehmen wird somit sein eigenes Active Directory pflegen und es beispielsweise via Self-Souvereign-Identities (SSI) anbinden. So kann ich auf der einen Seite Standards auf der Infrastruktur haben und auf der anderen Seite hochkomplexe Beschreibungen von Services ermöglichen, die eindeutig auf ein Unternehmen zugeordnet werden können.

Es gibt zahlreiche technische Möglichkeiten, um Daten interoperabel und dennoch eindeutig zu machen, auch in komplexen Strukturen. Gleichzeitig kann ich mit Kubernetes als Standard die Infrastruktur komplett offen und abstrahiert aufsetzen.

Eine Chance für Interoperabilität ist dabei auch Open Source. Hier fremdeln die Unternehmen teilweise noch. Denn jeder Konzern versucht seine eigene IP auch zu verteidigen. Im größeren Kontext muss das etwas limitiert werden und sollte nicht auf die technische Basisarchitektur angewandt werden – im Sinne aller.

Open Source und die zahlreichen Tools in diesem Bereich sind der Baukasten für die Unternehmen, sich selbst eigene Logiken und Services aufzubauen. An anderer Stelle bekomme ich auch mal den geilsten Service bei Azure, AWS oder Google. Aber ich werde nicht gezwungen, ihn zu nutzen, ich kann mich immer noch entscheiden.

Workloads müssen und können über Providergrenzen provisionierbar sein. Kubernetes ist hier ein guter Anfang, aber noch nicht das Ende der Fahnenstange.

Max: Was wäre dann der nächste Schritt?

Andreas: Zunächst einmal ist dieser wieder übergeordnet. Denn eine rein ideologische Diskussion bringt uns in diesem Umfeld nicht wirklich voran. Die Akzeptanz, dass Hyperscaler auf absehbare Zeit ein Teil des Cloud-Edge-Ökosystems sein werden gehört mit dazu, allein schon, weil wir insgesamt einen Global Outreach benötigen.

Innerhalb des Unternehmens ist dem Strategen Souveränität wichtig, bei dem Einkäufer ist das ehrlicherweise bestenfalls auf Rang 5. Die Wahrheit liegt in der Mitte.

Denn es geht nicht um Grundsatzentscheidungen, z.B.  zwischen Google Cloud, Azure, OpenStack oder VMware, Im Idealfall können wir auf jeder Umgebung arbeiten. Hier braucht es noch mehr anwendungsnahe Services, die das auch gewährleisten können.

Ein Beispiel ist Chat GPT, was an vielen Ecken overhyped ist und durch die Investition von Microsoft noch einmal in eine ganz andere Richtung gelenkt wurde.

Das bedeutet letztlich vor allem, dass es ein Key Asset der Zukunft für Microsoft ist. Und dabei geht es vor allem um Servicefunktionen. Ich erhalte Kompetenzvermittlung und Erreichbarkeit in einem Chat-System, dass mir 2-3 Stunden Arbeit abnimmt. Das ist ein Honeypot und der muss größer gedacht werden.

cloudahead Artikelzitat Andreas Weiss

Max: Wie können Allianzen und Zusammenschlüsse hier ihren Beitrag leisten?

Andreas: Es geht vor allem um digitale Teilhabe auf nationaler und europäischer Ebene, weil darüber enorme Wertschöpfung gehoben werden kann, die bis heute eben noch nicht gehoben wurde. Wenn es uns gelingt ein Ökosystem aufzubauen worin die Teilnehmer nicht nur Konsumenten sind, sondern echte Teilhabe und ein intrinsisches Interesse am Fortschritt haben sehe ich da enorme Chancen.

Denn wer zahlt unsere Rente?

Das wird nicht über Souveränität entschieden. Eher wird es eine Abhängigkeit von digitalen Diensten sein, sodass jeder dieses intrinsische Interesse haben sollte Teil der Gestaltungs- und Wertschöpfungskette zu sein.

Cloud Native passiert derzeit vor allem im Umfeld der Hyperscaler. Lokal landen davon allenfalls Brotkrumen. Da ist es wichtig Schützenhilfe zu leisten und auch Startups eine Stimme zu geben. Wir brauchen mehr selbstbewusstes Auftreten und einen Verband, der so etwas vorwettbewerblich unterstützt.

Max: Wie können wir hier besser kommunizieren und Anreize schaffen?

Andreas: Ich sehe hier für die regionalen Anbieter durchaus auch ein kleines Risiko durch GAIA-X, denn das Konzept öffnet die Tür für alle Anbieter. Diese dürfen nicht mit ihrem veralteten Commodity-Portfolio daherkommen, sondern müssen mit innovativen und marktgerechten Angeboten aufwarten.

Es ist zweifelsohne der richtige und attraktivere Weg sich neuen Workloads zu widmen, aber das ist auch schwer. Strategisch positionieren sich diese Unternehmen mit hohen Ambitionen. IONOS ist an die Börse gegangen und es bleibt spannend, was sich das weiterentwickelt. Stack-IT als Teil der Lidl/Schwarz-Gruppe bereitet ein Cloud Portfolio auf, aber in der Wirkung für die Wirtschaft und andere Unternehmen ist davon noch kaum etwas zu spüren.

cloudahead Artikelzitat Andreas Weiss
Max: Wie können wir hier besser kommunizieren und Anreize schaffen?

Andreas: Wichtig ist schon allein der Anfang einer Kommunikation. Geht es in erster Linie um Souveränität oder um Differenzierung? Ich würde sagen, es geht zunächst um Differenzierung und neue Geschäftsmodelle. Wenn ich diese selbstbestimmt gestalten und technische Entscheidungen mit Wahlfreiheit treffen kann, ist das ein Ausdruck von Souveränität.

Das Ökosystem dafür haben wir nun konzipiert und müssen den Beweis antreten, dass es funktionieren kann und Dinge besser laufen werden.

Unternehmen haben ihr Geschäftsmodell anzupassen, um zukunftsfähig zu sein. Das Disruptionszeitfenster wird immer kleiner. Wir reden nicht mehr über Dekaden, sondern ein paar wenige Jahre. Und Souveränität bedeutet auch, sich mit solchen Realitäten auseinanderzusetzen und festzustellen, dass man betroffen ist und geeignete Maßnahmen definieren und noch viel wichtiger umsetzen kann.

Manche kommen dort leider immer noch drumherum. Andere treffen falsche Entscheidungen und rufen Maßnahmen, wie ein Online-Zugangsgesetz (OZG) mit über 600 Services aus, wo weder die Auswahl der Maßnahmen noch die zugrundeliegenden Maßgaben richtig sind. Das Scheitern ist vorprogrammiert.

Wir müssen kommunizieren, dass Veränderung existiert und akzeptiert werden sollte. Wenn wir im Narrativ der Selbstbestimmtheit sind, können wir digitale, territoriale und technische Souveränität gewährleisten. Somit haben wir keine singulären Abhängigkeiten, aber dennoch Innovation und Weiterentwicklung. Da wollen wir doch (wieder) hin.

cloudahead Artikelzitat Andreas Weiss

Deutschland war einst ein Pharma-Leader. Heute kommt das fast alles aus Asien. Das Learning liegt doch auf der Hand: Wenn elementare Dinge nicht mehr funktionieren, herrscht Handlungsbedarf. Eine reine Kostenoptimierung wird uns nicht weiterbringen.

Überall dort, wo Veränderung zentrale Lebens- und Geschäftsbereiche tangiert, darf ich nicht schwarz-weiß denken, sondern muss flexibel nutzbare Alternativen schaffen. Das ist auch eine Werthaltigkeit von Souveränität.

Andreas, vielen Dank für das Interview.

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