Die T-Systems ist die größte Betreiberin von klassischen Rechenzentren in Deutschland. Die Public Cloud disruptiert diesen Markt erheblich. Nun sagt ausgerechnet der CEO jener klassischen Rechenzentren, die Public Cloud sei das Herz der Digitalisierung, und stellt damit die Public Cloud an die erste Stelle. Hat er damit Recht?
Hat Adel Al-Saleh Recht?
Ein Blick auf die Vorteile der jeweiligen Cloud-Variante gibt die Antwort. Die Vorteile der Private Cloud lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Bei konstant hoher Nutzung der einzelnen Cloud-Services können die Gesamtkosten in der Private Cloud deutlich geringer ausfallen.
- Der Nutzer hat ein hohes Maß an Kontrolle über alle Details von Betrieb und Wartung jedes einzelnen Cloud-Services.
- Jede IT-Komponente kann individuell verändert werden, insbesondere auch auf Hardware-Ebene.
- Es erfolgt kein Datenabfluss an Cloud-Betreiber, die wiederum verpflichtet sein könnten, diese Daten an Drittstaaten weiterzugeben.
Die Vorteile der Public Cloud unterscheiden sich maßgeblich:
- Es existiert ein sehr breites Portfolio an Cloud-Services am Markt, und zwar auf allen IT-Ebenen (Infrastruktur, Middleware und Anwendung) und für unterschiedliche Branchen und Fachgebiete.
- Die wichtigsten dieser Cloud-Services können bei Bedarf global skalieren und somit auch sehr spontane Wachstumsphasen abbilden.
- Die Cloud-Services können risikoarm in sehr kleinen Abrechnungseinheiten mit meist geringen monatlichen Gebühren und ohne Vorab-Invest konsumiert werden.
- Die Cloud-Services werden in der Regel abhängig von der tatsächlichen Nutzung abgerechnet.
Welche Cloud ist für Startups am Besten?
Das Wesen eines Startups ist die ungewisse Wachstumsperspektive. Die Gründer wünschen sich ein explosives Wachstum nach dem Vorbild von Pokemon Go. Deswegen aber weltweit eigene Rechenzentren und Betriebs-Teams aufzubauen, würde sehr hohe Investitionen für Basis-IT-Services bedeuten, mit denen sich das Startup kaum von den Wettbewerbern differenziert.
Fast alle Startups setzen daher auf die Public Cloud: Sie können dort flexibel und ohne Kapitalbindung aus einer großen Auswahl an Cloud-Services auswählen. Die Rechnung wird dann gemäß des globalen Erfolgs steigen, dann aber ist auch von entsprechenden Einnahmen auszugehen.
Wofür entscheiden sich Großunternehmen?
Für ihre bestehenden Geschäfte besitzen Großunternehmen in der Regel eigene Rechenzentren oder lassen diese von Dienstleistern betreiben. In beiden Fällen sind Planungen und Investitionen bereits getätigt, die Bedarfe der eigenen Fachabteilungen sind bekannt und prognostizierbar. Bleiben die Altgeschäfte weiterhin stabil und gibt es keine Notwendigkeit für große Investitionen in IT-Infrastrukturen, verbleiben Großunternehmen meist bei der Private Cloud.
Für Neugeschäfte sieht die Kalkulation von Großunternehmen oder -konzernen aber anders aus: Nur dann, wenn bei ihren aktuellen internen oder externen IT-Dienstleistern alle notwendigen IT-Services in ausreichendem Maße vorhanden und einfach nutzbar sind, werden weiterhin die eigenen Private Clouds genutzt. Meist sind diese aber in den Bereichen Services-Breite, Einfachheit der Bestellung und Skalierbarkeit kaum wettbewerbsfähig. Daher entscheiden sich selbst Großunternehmen mit eigenen Rechenzentren bei Neugeschäft fast immer für die Public Cloud. Ein gutes Beispiel hierfür ist VW. Der Konzern setzt bei seiner "Automotive Cloud" auf Azure und nutzt für die "Industrial Cloud" AWS.
Welche Cloud bevorzugen öffentliche Institutionen?
Staatliche Organisationen unterliegen dagegen anderen Abwägungen. Für sie sind Vorteile wie schnelle Reaktion auf Kundenbedarfe, spontane Skalierbarkeit und geringe Grenzkosten kaum relevant. Wichtiger hingegen sind Argumente wie möglichst starke Kontrolle über Wartung und Betrieb sowie Vermeidung von Datenabflüssen. Aus diesen Gründen entscheiden sich Behörden praktisch immer für die Private Cloud. Zwar werden auch dort viele Softwares von amerikanischen Unternehmen wie VMware oder Microsoft eingesetzt, doch durch den Eigenbetrieb erfolgt ein höheres Maß an Kontrolle über Datenflüsse.
Die Hauptsorge der öffentlichen Kunden vor der Public Cloud liegt im CLOUD Acts begründet. Dieses im Jahre 2018 durch den US-Kongress erlassene Gesetz verpflichtet US-amerikanische IT-Firmen, US-Behörden unter bestimmten BEdingungen Zugriff zu geben auf Daten ihrer Kunden, auch wenn diese außerhalb der USA gespeichert werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen:
- Public Cloud: Aufgrund ihrer Schnelligkeit, Einfachheit und Flexibilität wird die Public Cloud in der Privatwirtschaft für praktisch alle Neugeschäfte genutzt. Zudem ist sie vorteilhaft bei allen Geschäften mit großen täglichen oder saisonalen Nachfrage-Schwankungen sowie unklarer Zukunftsperspektive.
- Private Cloud: Selbst erstellte und betriebene IT-Infrastrukturen werden in öffentlichen Organisationen bevorzugt, um die regulative Zuständigkeit außereuropäischer Behörden zu vermeiden. In privaten Unternehmen ist der Einsatz der Private Cloud besonders sinnvoll, wenn das Geschäftsmodell spezifische Hard- und Software-Anforderungen benötigt. Auch bei großen, stabilen und vorhersehbaren Geschäften kann der Aufbau einer eigenen IT-Infrastrukturen kostengünstiger oder besser sein.
Geschäftsentwicklung im Vergleich der beiden Cloud-Typen
Der Vergleich von zwei Geschäftsentwicklungsinitiativen nach Cloud-Typ verdeutlicht die oben genannte Abwägung.
Wird die Private Cloud genutzt, um eine Geschäftsidee zu verwirklichen, verbringen die Beteiligten viel Zeit mit Planung: Wie viel IT-Infrastruktur wird in den nächsten 36 Monaten genau benötigt? Wer übernimmt die laufenden Kosten im Falle des Mißerfolgs? Wie sicher ist der Erfolg und sind wirklich so viel Investitionen nötig? Wie lange dauert der Aufbau der Infrastruktur? Welche Datenbanken und Middleware werden zuerst aufgebaut? Welche weiteren Services werden in 3 Jahren nötig sein? Wie genau werden die Kunden auf die Lösung reagieren? Sehr viel Zeit vergeht mit der Diskussion von Möglichkeiten und Risiken, die noch weit in der Zukunft liegen. Sehr wenig bis keine Zeit wird verwandt, um echtes Kunden-Feedback auszuwerten. Denn die Lösung ist noch in Planung, und die Investitionen werden erst freigegeben, wenn alle Details bestmöglich abgesichert sind.
Wird die Public Cloud genutzt, ist der Zeitraum zwischen Kreation der Idee und erstem Kunden-Feedback deutlich kürzer. Software-Entwickler können in kleinen Teams und ohne Investitionen in eigene IT-Infrastruktur schnell mit der Entwicklung einer ersten Version des Geschäftsmodells beginnen. Nach relativ kurzer Zeit kann das tatsächliche Software-Produkt bei Kunden getestet werden. Deren Feedbacks fließen wiederum in die nächste Iteration ein, das Risiko einer Fehlentwicklung wird deutlich reduziert, die Software kann schneller Marktbedarfe erfüllen und in Wachstumsphasen eintreten.
Das Dilemma der Digitalisierung Deutschlands
Adel Al-Saleh hat also Recht. Die große Portfoliobreite in Kombination mit niedrigen finanziellen und technischen Einstiegshürden lässt Unternehmen mit der Public Cloud schneller und risikoärmer digitalisieren.
Die Analyse Al-Salehs erklärt auch das Dilemma, in welchem die Digitalisierung des öffentlichen Dienstes verharrt. Die Nutzung "normaler" Public Clouds wie Azure und AWS ist nach aktueller Interpretation der meisten Behörden nicht möglich, greift doch potentiell der amerikanische Staat mit Hilfe des CLOUD Acts auf die Daten zu. Also werden eigene Private Clouds genutzt wenn es um digitale Geschäftsmodelle ("Fachverfahren") geht. Diese führen dann, wie soeben beschrieben, selten zu schnellen Digitalisierungserfolgen.