2. Was ist digitale Souveränität?

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29.07.2022
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4 min Lesedauer
Es gibt sehr viele Definitionen

In der Schwerpunktstudie Digitale Souveränität haben Mareike Seifried und Irene Bertschek Definitionen von 18 Organisationen zusammengetragen. Die Diversität der Urheber (Bertelsmann Stiftung, Konrad-Adenauer-Stiftung, Bitkom, div. Bundesministerien) zeigt, wie breit gestreut das Interesse an diesem Thema ist.

Drei Begriffs-Cluster

In der Vielzahl der Sichtweisen lassen sich drei klare Cluster erkennen:

  • Wer möchte souverän sein? Neben Bürger und Individuum geht es vor allem um Staat, Gesellschaft, Unternehmen, Wirtschaft und Politik. Diese sind die Subjekte der Digitalisierung.
  • Wie sieht Souveränität aus? Hier geht es um Leistungs- und Handlungsfähigkeit, Sicherheit, Zugriff und Kontrolle sowie Selbstbestimmung.
  • Was ist der Gegenstand der Souveränität? Der digitale Raum, die Schlüsseltechnologien, Netzwerke und Dienstleistungen.

Bei der Ausgestaltung der Souveränität, also dem “Wie”, lassen sich zwei weitere Schwerpunkte ausmachen: Leistungsfähigkeit und Kontrolle.

cloudahead Grafik Tagwolke

Digitale Selbstbestimmung ist Leistungsfähigkeit und Kontrolle

Die Subjekte der Digitalisierung (Wirtschaft, Bürger, Staat) verlangen Selbstbestimmung im digitalen Raum. Diese Selbstbestimmung äußert sich in den Bereichen Leistungsfähigkeit und Kontrolle - zwei weitgehend unabhängige, teilweise widersprüchliche Anforderungen.

  • Leistungsfähigkeit: Hier geht es um Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich, um Handlungsfähigkeit, um digitale Angebote an Kunden, Lieferanten und Mitarbeitende. Es geht um die aktive Gestaltung der eigenen Zukunft.
  • Kontrolle: Hier geht es um die Sicherung von Daten, Absicherung vor ungewünschten Zugriffen, um die Sicherstellung von Funktionalität auch unter schwierigen und unvorhersehbaren Bedingungen.

Die Kombination dieser beiden Anforderungen schafft genau jene gewünschte Souveränität. Unsere Definition digitaler Souveränität ist demnach auch:

Digitale Souveränität ist die Fähigkeit, zu selbstbestimmtem Handeln im digitalen Raum.

cloudahead Grafik Leistungsfähigkeit vs Kontrolle

Souveränität ist mehr als Autarkie

Die Bitkom hat in ihrer Studie zur digitalen Souveränität einen bedeutenden Beitrag zur Diskussion geliefert. Sie zeigt folgendes Spektrum auf:

  • Fremdbestimmung: Wir verfügen in digitalen Schlüsseltechnologien über keine eigene Kompetenz. Uns fehlt die Fähigkeit, Technologien in puncto Sicherheit zuverlässig zu bewerten und sie im Bedarfsfall an unsere eigenen Anforderungen anzupassen.
  • Souveränität: Wir verfügen in zentralen Technologiefeldern, Diensten und Plattformen über eigene Fähigkeiten auf weltweitem Spitzenniveau. Wir sind in der Lage, selbstbestimmt und selbstbewusst zwischen Alternativen leistungsfähiger und vertrauenswürdiger Partner zu entscheiden.
  • Autarkie: Wir entwickeln und fertigen Schlüsseltechnologien mit eigenen Ressourcen. Wir ziehen Technologien aus eigener Fertigung Technologien Dritter auch dann vor, wenn sie weniger leistungsfähig sind.
cloudahead Grafik Fremdbestimmung bis Autarkie

Mitunter werden die Begriffe “Souveränität” und “Autarkie” als Synonyme verwendet. Die Unterscheidung der Bitkom aber ist deutlich: Autarkie bedeutet, dass überlegene Technologien Dritter abgelehnt werden, weil diese nicht aus eigener Fertigung stammen. Übertragen auf die Lebensmittelbranche würde dies bedeuten: Deutschland ernährt sich im Winter im Wesentlichen von Steckrüben - dem bewährten deutschen Wintergemüse.

Das Konzept der Souveränität geht ebenfalls von einem Eigenleistungsanteil aus, ergänzt dies aber um Partneralternativen und Steuerungskompetenz. Übertragen auf die Lebensmittelbranche also: Wir bauen viele Zutaten selbst an und kochen selbst. Aber wir lagern auch im Kühlschrank und in der Tiefkühltruhe und lassen uns von vielen Partnern zuliefern. Es gibt nicht immer Erdbeeren - aber es gibt immer einen guten Nachtisch.

Souveränität kann man schaffen aber nicht kaufen

In der Küchenanalogie geblieben, lässt sich die Fremdbestimmung mit einem Restaurant-Besuch vergleichen. Ist das Restaurant geschlossen, gibt es nichts zu Essen. Die Autarkie entspricht dem genügsamen Einsiedler, der sich im eigenen Garten fernab der Wechselwirkungen und Abhängigkeiten der Zivilisation selbst ernährt.

Souveränität dagegen ist vergleichbar mit einem fähigen Koch, der mit viel Wissen um Zutaten, Zulieferer, Saisonalität und Kochrezepte seine Familie und Freunde ernährt.

cloudahead Grafik Fremdbestimmung bis Autarkie

Im digitalen Raum entsteht Souveränität in einem koordinierten Zusammenspiel aus:

Fünf Aufgaben für Souveränität in der IT

Mit Hilfe der Küchenanalogie lassen sich die Herausforderungen von Souveränität gut beschreiben. Ein guter Koch wird seine Gäste immer zufriedenstellen, wenn er folgende Fragestellungen beantwortet:

  • Vorgedachte Szenarien: Für wie viele Menschen koche ich und was ist deren Geschmack?
  • Fachliche Kompetenz: Welche Zutaten benötige ich, wie sind sie verfügbar, wie lagere ich sie und wie kann ich sie im Zweifel ersetzen?
  • Eigene Herstellung: Welche Zutaten (Kartoffeln, Weizen) und Geräte (Küche, Kühlschrank) stelle ich selbst her, welche betreibe ich selbst?
  • Intelligente Steuerung: Welche Zutaten kaufe ich wo, welche halte ich vor und  wie lagere ich sie wo ein?
  • Mehrere Kaufoptionen: Welche Lieferanten bieten welche Zutaten? Wie sicher sind deren Lieferketten und welche langfristigen Verpflichtungen gehe ich ein.

Selbstbestimmung entsteht also durch eine intelligente Steuerung von Eigenleistung und Fremdleistung bei gleichzeitiger Flexibilität in vorausgedachten Krisenszenarien.

Autarkie hingegen priorisiert ausschließlich die eigene Herstellung aller Produkte. Es wird dauerhaft auf alle Leistungen, bei denen dies im Normalfall oder in Krisenszenarien nicht möglich ist, verzichtet.

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